Jan und Erik wohnen in derselben Straße. Sie kennen sich schon, seit sie auf der Welt sind. Ihre Mütter kennen sich sogar noch länger. Seit damals, als sie sich mit ihren dicken Babybäuchen auf der Straße zugelächelt hatten. Eines Tages haben sie sich angesprochen, sich verabredet, und seitdem sind sie Freundinnen. Und sie sind richtig froh, dass auch ihre Jungs Freunde geworden sind. Wenn Erik zu Jan geht, kommt seine Mama meistens gleich mit. Während Jan und Erik im Kinderzimmer spielen, unterhalten sich ihre Mütter im Wohnzimmer und trinken Tee. So wie heute. »Wo sind die beiden eigentlich?«, fragt Eriks Mama nach einer Weile. »Die kommen doch sonst ständig und wollen irgendwas.« »Sie sind jetzt eben größer und können schon länger alleine spielen«, sagt Jans Mama. Das stimmt. Und außerdem haben Erik und Jan zusammen immer so super Ideen.
Jan hat von seiner Oma zum Geburtstag Straßenmalkreiden geschenkt bekommen. Die sind viel dicker und größer als normale Kreiden. Doch auf der Straße kann er damit nicht malen, denn da fahren zu viele Autos. Und wenn er den Gehweg vor der Haustür bemalt, beschwert sich Frau Gatz, die im Erdgeschoss wohnt und sowieso meistens meckert. Zum Glück fällt seinem Freund Erik ein, was man mit den Kreiden sonst noch so machen kann. »Wir zerreiben sie und machen Puderzucker daraus«, schlägt er vor. »Und den Puderzucker verkaufen wir im Laden.« Jan hat nämlich zum Geburtstag auch noch einen Kaufmannsladen bekommen. Und mit dem spielen die beiden am liebsten. »Zerreiben ist gut«, sagt Jan. Er nimmt die dicken Kreiden und versucht, sie mit den Fingern zu zerbröseln. Das ist ganz schön schwer. »Wir brauchen eine Reibe. So eine für Käse«, sagt Erik. »Habt ihr so was?« »Wir gucken mal in der Küche nach.«
Auf Strumpfsocken schleichen sich die Jungs aus dem Zimmer. Sie sind ganz leise, denn Jans Mama mag es nicht, wenn er aus der Küche etwas wegnimmt. Alle Küchenwerkzeuge sind in der großen Schublade. Als Jan sie öffnet, entdeckt er die Reibe sofort. Die nehmen sie mit und huschen so leise, wie sie gekommen sind, in ihr Zimmer zurück.
Jan findet, dass er als Erster die Kreide zerreiben darf. Weil es nämlich seine Kreiden sind. Aber das findet Erik gemein, denn er hatte schließlich die Idee. Es ist ja ohnehin schon ungerecht, dass Jan einen Kaufmannsladen hat und er nicht, und dann ist es noch ungerechter, wenn Jan jetzt auch noch mit dem Zerreiben anfangen darf. »Na gut«, sagt Jan und überreicht seinem Freund die gelbe Kreide. Und Erik legt los. »Super, das geht ja babyeierleicht «, sagt er und lacht. »Lass mich jetzt auch mal«, sagt Jan ungeduldig. Erik gibt ihm die Reibe. Jan ist so fleißig. Auf dem Teppich entsteht schon bald ein kleiner Haufen, der größer und größer wird. Erik holt sich einen Löffel und schaufelt das gelbe Mehl auf einen Puppenteller. Er bekommt bloß nicht alles vom Teppich runter. »Das ist ja blöd«, sagt Erik. »Macht doch nichts«, sagt Jan und verreibt den Rest mit den Händen auf dem Boden. Die gelbe Farbe sieht auf dem Teppich richtig gut aus. Und was passiert, wenn man die blaue Kreide darüberreibt? Erik probiert es aus. »Super, das wird ja grün«, sagt er und ist sehr zufrieden.
»Dein Bett braucht auch ein bisschen Farbe«, sagt Erik zu seinem Freund. »Gib mal den Teller mit dem Gelb.« Erik verstreicht das farbige Pulver auf dem Holz. Aber sie brauchen noch viel, viel mehr Farbe, und deshalb zerreibt Jan jetzt alle Kreiden, die er hat. Gemeinsam verstreichen sie das Pulver überall auf dem Bett. Das macht richtig Spaß. Erik und Jan sind tolle Maler. Sie malen das ganze Bett an, den Teppich, den kleinen Tisch und alle anderen Möbel auch. Allerdings sind jetzt die Wände so weiß, und das sieht langweilig aus. Diesmal hat Jan eine super Idee. »Die Wände malen wir mit Filzis an«, sagt er, »und mit Wachsmalkreiden.« »Cool«, sagt Erik und lacht. »Die Stifte brauchen wir nicht mal zu zerreiben.« Jan holt seinen Stiftekoffer, und dann malen sie Häuser, Hunde und Dinos und noch ganz viel mehr an die Wände. Jans Kinderzimmer sieht jetzt richtig fröhlich aus. Und fröhlich, sehr fröhlich sogar, sind auch die beiden Maler.
Inzwischen haben ihre Mütter den Tee ausgetrunken. Und weil es so gemütlich ist, will Jans Mama noch eine zweite Kanne Tee kochen. Auf dem Weg zur Küche kommt sie am Kinderzimmer vorbei. Die Tür ist zu, und dahinter ist es ungewöhnlich still. Verdächtig still. Jans Mama bleibt stehen. Einen Moment lang lauscht sie an der Tür. Vorsichtig drückt sie die Klinke hinunter. Da stehen die zwei Maler, und alles ist bunt. Sogar sie selbst.
»Du liebe Zeit!«, ruft Jans Mama. »Was ist denn hier los?« »Wir malen das Zimmer an«, sagt Jan vergnügt. Inzwischen kommt auch Eriks Mama dazu. »Oh nein!«, sagt sie, als sie das Zimmer sieht. »Was habt ihr euch denn dabei gedacht?« »Wir haben eben immer so super Ideen«, sagt Jan stolz. Aber da sagt seine Mama, dass sie und Eriks Mama da auch ein paar Ideen hätten. Und die erste wäre, dass sie alle zusammen das Kinderzimmer putzen, und die zweite, dass die Jungs in die Badewanne gehen, und die dritte, dass alle Klamotten in die Waschmaschine kommen. Aber so toll finden die Jungs die Ideen ihrer Mamas gar nicht. Und das ist ja auch klar, denn nur Erik und Jan haben zusammen immer so super Ideen.
➤ Kategorie: Gute-Nacht-Geschichten
➤ Text: Maren von Klitzing · Illustrationen: Melanie Garanin. Aus: "Drei-Fünf-Acht-Minutengeschichten zum Lachen und Kichern", erchienen bei ellermann im Dressler Verlag, www.ellermann.de
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