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Gute-Nacht-Geschichten

Lasse, Kapitän Hakennasen-Pit und die Grüne-Ohren-Piraten (ab 4 Jahre)

Three little pirates, a girl and two boys are playing pirates on the beach. They have found a treasure chest buried in the beach sand.
Sunny summer day.
Nikon D850

Am Dienstag ist Lasse viel früher wach als sonst. Er freut sich schon riesig auf die Kita, denn jeden Dienstag kommt Frau Milma. Sie ist schon ziemlich alt, hat graue Haare und eine goldene Brille auf der Nase. Alle nennen sie »die Vorleseoma«, weil sie jedes Mal ein Buch mitbringt und eine Geschichte daraus vorliest. Immer wenn Frau Milma eine Geschichte mit den Worten »Und jetzt hört mir mal ganz genau zu« beginnt, passiert es. Lasses rechter großer Zeh kribbelt. Schnell breitet sich das Kribbeln und Krabbeln aus. Es wandert höher und höher und endet schließlich in seinen Ohrläppchen. Und wenn sich dann jeder noch so winzige Fleck auf Lasses Körper so anfühlt, als würde eine Horde Ameisen darüberlaufen, wird er – schwuppdiwupp – mitten hineingezogen in die Geschichte.

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In der Kita machen sie einen Stuhlkreis. Die Vorleseoma lächelt in die Runde und legt ein Buch auf ihre Knie. Vorne drauf befindet sich ein Bild von einer schwarzen Piratenflagge mit Totenkopfschädel. Schnell schnappt sich Lasse das Holzschwert, das hinter ihm in der Spielecke liegt. Man weiß ja nie, wofür man es gebrauchen kann. Frau Milma rückt ihre goldene Brille zurecht. Sie räuspert sich und schlägt die erste Seite auf. Dann sagt sie: »Und jetzt hört mir mal ganz genau zu.« Sofort kribbelt Lasses rechter Zeh.

»Kapitän Hakennasen-Pit war ein netter Seeräuber, der jeden Tag und jede Nacht auf den sieben Weltmeeren herumsegelte. Dort hat er für Gerechtigkeit und Ordnung gesorgt«, fährt die Vorleseoma fort. Das Kribbeln und Krabbeln hat nun schon Lasses Bauch erreicht. »Seine Beute behielt er nie für sich. Er verteilte sie immer an die armen Leute auf dem Land.« Jetzt kribbeln Lasses Ohrläppchen, und bevor er noch ein weiteres Wort von Frau Milma hören kann, wird er von seinem Stuhl gezogen. Schwuppdiwupp fliegt er mitten hinein in die Geschichte.

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»Hoppla«, sagt er, als er auf einem schwankenden Schiff landet. Unter dem Geländer brausen die Wellen. Der Wind pustet die Segel auf, und ganz oben flattert eine Seeräuberfahne. Sie ist blau mit zwei gekreuzten Säbeln drauf. Ein Mann in löchrigen Lederschuhen und mit einer Nase, die aussieht wie eine große Essiggurke, taucht neben Lasse auf. »Zum verflixten Kanonenrohr, wer bist du denn?« »Ähm, ich bin Lasse.« Er überlegt, wie er sein plötzliches Auftauchen auf dem Schiff erklären soll. Immerhin kann er dem Mann ja schlecht erzählen, dass die Vorleseoma gerade eine Geschichte in der Kita vorliest und er einfach so hineingeflogen ist.

Zum Glück fragt der Mann gar nicht weiter nach. Er lächelt sogar. »Ich bin Kapitän Hakennasen-Pit. Und das hier ist meine verschlitterte-verschlotterte Mannschaft. Neben dem Steuerrad steht Einaugen-Willy.« Er zeigt auf einen Mann im Ringelshirt, dessen linkes Auge von einer schwarzen Klappe verdeckt ist. Mit dem rechten Auge zwinkert er Lasse zu. »Und dahinten ist Bohnenstangen-Niklas, mein Schiffsjunge.« Der dünne Junge ist höchstens zwei Jahre älter als Lasse. Er winkt kurz und schrubbt dann weiter das Deck mit einem Besen.
»Der Mann, der gerade aus dem Unterdeck hinkt«, fährt Hakennasen Pit fort, »ist mein Koch, Nudel-Hein. Er bereitet die leckersten See schlangen-Spaghetti in grüner Algensoße zu, die es auf den sieben Weltmeeren gibt.« Pfui Teufel! Lasse verzieht das Gesicht. Gerade will der Kapitän ihm den Mann vorstellen, der ganz oben im Ausguck auf der Mastspitze sitzt, da brüllt der zu ihnen runter: »Achtung, die fiesen Grüne-Ohren-Piraten segeln direkt auf uns zu.« »Auch das noch«, schnaubt Kapitän Hakennasen-Pit. Er schnappt sich sein Fernglas und sucht den Horizont damit ab. Neugierig lehnt sich Lasse über das Geländer. Gleich darauf sieht er es auch. Ein schwarzes Schiff mit einer grasgrünen Piratenflagge flitzt über das Wasser. »Kanonendonner und Seemannsblitz«, schimpft Hakennasen-Pit, »diese dämliche Bande hat mir gerade noch gefehlt. Ständig greift sie uns an. Aber ich habe jetzt keine Lust zu kämpfen. Ich bin müde und habe einen Bärenhunger.« »Müssen wir denn unbedingt kämpfen?«, fragt Lasse. Er ist sich nicht sicher, ob er mit seinem Holzschwert einen richtigen Piraten besiegen kann. Kapitän Hakennasen-Pit runzelt die Stirn. »Vielleicht gibt es auch eine andere Möglichkeit, wie wir die Grüne-Ohren-Piraten in die Flucht schlagen können.«

Im nächsten Moment brüllt er seiner Mannschaft eine Reihe von Befehlen zu. Zwischen jeder Menge Schimpfwörtern sagt er irgendetwas, das nach »still« und »stumm« und »klirren« und »klappern« klingt. Im nächsten Moment duckt der Kapitän sich hinter eine Holztonne und zieht auch Lasse mit sich in die Hocke. »Pst«, sagt er. »Wir sind jetzt mucksmäuschenstill.« Auch die restliche Mannschaft geht in Deckung. Schon hören sie das Brausen der fremden Segel. »Abwarten«, murmelt Hakennasen- Pit. Als das gegnerische Schiff ganz nah ist, schwingt der Kapitän der Grüne-Ohren- Piraten sich an einem Seil zu ihnen rüber. »Nanu, wo sind denn alle?«, fragt er verwirrt. Säbel schwingend landet er direkt neben Lasse und Hakennasen-Pit. Der springt hoch und brüllt so laut, dass Lasse sofort an ein tiefes Donner grollen denken muss: »Bruuaaaaahhhhruuuaaaahhhhh!« Damit hat der Kapitän der Grüne-Ohren-Piraten nicht gerechnet. Erschrocken macht er einen Schritt zurück. Nun kommt auch die restliche Mannschaft aus ihren Verstecken.

Einaugen-Willy mit dem Ringelshirt und der Augenklappe knurrt wie ein Bär. Bohnenstangen-Niklas grunzt wie ein Wildschwein und fuchtelt dabei mit seinem Besen in der Luft herum. Der Koch, Nudel-Hein, schlägt mit einem Suppenlöffel gegen einen Topf, in dem glibberige Spaghetti in grüner Soße herumschwimmen. Lasse schließt sich dem Gebrüll an. Er ruft »Grrrhhh« und »Buhuhuuuuuu« und klopft mit seinem Holzschwert auf den Boden. Dabei versucht er, so grimmig wie Hakennasen-Pit zu schauen. Der Kapitän der Grüne-Ohren-Piraten geht noch einen Schritt zurück. Leider ist da schon das Geländer. Er stößt dagegen und verliert das Gleichgewicht. Im hohen Bogen fliegt er ins Wasser. Seine Leute stehen noch immer auf ihrem Schiff und sind ganz blass. Der Steuermann wirft seinem Kapitän eine Strickleiter runter. Als dieser pitschepatschenass auf dem Deck seines Schiffes ankommt, dreht es ab und segelt davon. Das Getöse der Mannschaft von Kapitän Hakennasen-Pit verwandelt sich auf der Stelle in lautes Lachen. »Denen haben wir es gezeigt«, japst der Kapitän. »Vor lauter Schreck sind sie ganz blass geworden. Sogar ihre grünen Ohren waren weiß wie Schnee.« Lasse grinst und sieht den Grüne-Ohren-Piraten hinterher. Plötzlich entdeckt er etwas auf den Wellen. »Ich glaube, da schwimmt eine Kiste.« »Tatsächlich«, sagt der Kapitän. Gemeinsam werfen sie ein Netz aus und ziehen sie an Bord. »Eine Schatztruhe«, freut sich Hakennasen-Pit. »Die Grüne-Ohren- Piraten müssen sie bei ihrer Flucht verloren haben.« Lasse und der Kapitän öffnen sie gemeinsam. Sie ist voll mit schimmernden Goldstücken. »Die verteile ich nachher an die Bauern auf dem Land«, sagt der Kapitän. »Aber du kriegst auch eine. Immerhin hast du den Schatz gefunden.« Er überreicht Lasse eine Münze. »Und jetzt gehen wir feiern und futtern eine ordentliche Portion Seeschlangen-Spaghetti in grüner Algensoße.«

Bevor Lasse die ekligen Nudeln probieren muss, meldet sich sein rechter großer Zeh. Schnell breitet sich das Kribbeln und Krabbeln aus. Es wandert höher und höher und endet schließlich in seinen Ohrläppchen. Schon fühlt es sich so an, als würde eine Horde Ameisen über Lasses Körper laufen. Er ruft dem Kapitän noch schnell ein »Danke, bis bald« zu, und dann wird er – schwuppdiwupp – aus der Geschichte gezogen. Im nächsten Moment sitzt Lasse wieder auf seinem Stuhl in der Kita.

»Wenn ihr wollt, erzähle ich euch das nächste Mal noch mehr von Hakennasen-Pit und seinen Abenteuern auf den sieben Weltmeeren«, sagt Frau Milma. Irgendetwas drückt in Lasses Hosentasche. Er greift hinein und zieht eine schimmernde Münze hervor. Aber wie kann das sein? Das war doch nur eine Geschichte. Überrascht schaut er zu Frau Milma. Die Vorleseoma schließt das Buch auf ihrem Schoß und zwinkert ihm zu.

➤ Kategorie: Gute-Nacht-Geschichten
➤ Text von Mascha Matysiak/ Illustration von Stephan Pricken aus "Auf ins Abenteuer! Geschichten von Rittern, Piraten und anderen wilden Kerlen", ellermann im Dressler Verlag
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