von Michael Jordan
Für vieles bin ich zu klein. Doch meistens weiß ich mir zu helfen...
Immer, wenn man auf der Toilette war, soll man sich die Finger waschen. Ich rufe laut: „Mama!“, aber die telefoniert bestimmt noch und hört mich nicht. „Maaaaamaaaa!“
Vielleicht denkt sie auch, dass ich das alleine schaffe, obwohl sie mich sonst immer ein Stück hochhebt. Es ist ja ganz leicht, nur komme ich einfach nicht an den Hahn, obwohl ich mich so sehr strecke.
Ich könnte mir in der Küche die Finger waschen, aber ich habe eine Idee. Neben dem Becken steht unsere Waschmaschine. Da komme ich bestimmt leicht rauf und dann an den Hahn. Also greife ich an diesen Knopf an der Maschine und stoße mich gleichzeitig mit meinen Beinen von der Toilette ab. Das eine Knie kann ich bereits hochziehen, nun kommt das andere dran. Ganz leicht war das bis jetzt.
Meine Beine hängen nun in der Luft, mit meiner anderen Hand komme ich an den Wasserhahn. Der Hahn bewegt sich plötzlich in meine Richtung und dann knickt er ein wenig nach unten. Aber was soll´s? Ich bin oben und kann das Wasser aufdrehen.
Unter dem Wasserstrahl reibe ich meine Hände mit der Seife ein. Die Seife glitscht zwar auf den Boden, aber meine Hände sind eingeseift. Ich halte sie noch mal unter den Wasserstrahl und trockne mir danach die Finger ab. Den Hahn bekomme ich nicht mehr richtig zu. Als ich von der Maschine wieder auf den Boden springe, knallt es laut.
„Machst du Unsinn?“, ruft Mama. Ich schüttele den Kopf. Den Wasserstrahl werde ich ihr nachher zeigen, weil ich sie jetzt nicht stören will. Erst einmal die Seife aufheben und zurücklegen! Doch die ist ganz schmutzig auf dem Boden geworden, obwohl es doch eigentlich Seife ist.
Leider komme ich jetzt auch nicht mehr an die Seifenschale, aber wenn ich sie vorsichtig hochwerfe, müsste es klappen.
Mit kreisenden Armen nehme ich Anlauf und ziele. Aber die Seife ist so rutschig, dass sie aus meinen Fingern glitscht und bei Mamas Glasflaschen landet. Auweia! Ein paar von diesen kleinen Fläschchen sind umgekippt, aber auslaufen tut nichts - also nur ganz wenig. Dafür riecht es jetzt richtig schön hier.
Weil ich Durst bekommen habe, gehe ich in die Küche, um mir etwas zu trinken zu nehmen. Mama stellt mir immer ein leeres Glas auf den Tisch, damit ich mir alleine etwas zu trinken nehmen kann.
Als ich es mir nehmen will, sehe ich, dass ein kleiner dicker Käfer in meinem Glas sitzt. Er sieht lustig aus, ganz schwarz mit Punkten und vielen Beinen, die wild zappeln, als ich das Glas anhebe.
Armer kleiner Käfer, denke ich mir, dir geht es fast wie mir. Er kommt nicht mehr aus dem hohen Glas heraus. Ich sehe ihm eine Weile zu und überlege. Er muss woanders hin, denn ich will ja was trinken. Die kleine Dose auf dem Tisch ist fast leer, nur noch ein bisschen Zucker ist drin. Den möchte bestimmt gerne der kleine Käfer essen. Der hat schließlich auch Hunger.
Ich kippe den kleinen Kerl in die Dose, nehme die Brauseflasche und versuche sie zu öffnen. Ganz schön fest zugedreht ist sie, aber wenn ich mich richtig anstrenge
Na also, ich hab sie aufbekommen! Ein wenig ist auf den Boden gespritzt, das wische ich erst einmal mit einem Taschentuch weg. So - alles wieder trocken! Klebt aber noch irgendwie alles.
Von der Brause gieße ich mir etwas ein, einen kleinen Rest hebe ich für den kleinen Käfer auf. Vorsichtig kippe ich die Restbrause in seine Behausung.
Der Kleine sitzt ganz still da und schaut auf die vielen Blubberblasen. Jetzt hat er genug zu trinken und zu essen.
Nachdem ich ihn noch eine Weile angesehen habe, stelle ich die Dose an den richtigen Platz zurück und will jetzt in mein Zimmer gehen. „Ist alles in Ordnung, Schatz?“, fragt meine Mutter, als ich am Wohnzimmer vorbeigehe. „Ja“, sage ich und nicke eifrig.
In meinem Zimmer ist es langweilig. Mama hat noch nicht aufgeräumt; ich kann nichts finden, womit ich spielen mag. Aber sie telefoniert noch. Vielleicht kann ich leise ins Schlafzimmer gehen? Da steht der tolle Tisch, an dem sich Mama immer anmalt. Sie schimpft immer, wenn ich die Sachen ausprobieren will.
Ich bin einfach ganz still und stelle nach dem Probieren alles wieder an seinen Platz, dann merkt sie gar nicht, dass ich hier war.
Auf Zehenspitzen schleiche ich ins Schlafzimmer zu dem Tisch. Ich klettere auf den Stuhl davor und sitze nun vor den ganzen Sachen. Es ist so viel, dass ich gar nicht weiß, womit ich anfangen soll. Wo sind denn die Stifte mit den tollen Farben?
Ich beginne, die kleinen Kästchen auf dem Tisch nacheinander zu öffnen und zu durchsuchen. Endlich finde ich sie. Leider weiß ich nicht genau, wie man an die Farbe rankommt, also drehe und ziehe und beiße ich so lange, bis eine Seite des Stiftes nachgibt. Da sehe ich auch schon meine Lieblingsfarbe schimmern: Grün. Wie schön sie leuchtet!
Jetzt ist die Farbe richtig aus dem Stift draußen. Ich male ein wenig an den Spiegel und mache dann das Licht aus, um zu sehen, ob man die Farbe auch sehen kann, wenn es dunkel ist.
Leider kann man nichts sehen und ich wische sie mit einem Tuch wieder weg. Es ist so ein buntes Tuch, da fällt die grüne Farbe gar nicht auf. Richtig weg geht die Farbe nicht vom Spiegel.
Jetzt bin ich gespannt, wie die Farbe auf meinem Mund aussieht. Das ist richtig schwer. Dauernd rutscht mir der Stift weg, so dass bald alles um meinen Mund herum beschmiert ist.
Ich stelle mich auf den Stuhl, um mich besser im Spiegel sehen zu können. Na ja, eigentlich doch gut gelungen. Außerdem sehe ich im Spiegel Mama an der Tür stehen. Sie hält die kleine Zuckerdose in der Hand und schaut ziemlich ärgerlich.
Bestimmt ist sie böse und wird gleich schimpfen. Aber sie schaut mich noch eine Weile an, fängt dann an zu grinsen und lacht plötzlich.
Ich drehe mich um und sehe, dass ihr beim Lachen eine Träne aus dem Auge läuft. Hm, bestimmt bin ich wirklich noch zu klein, um die Erwachsenen verstehen zu können.
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