1. familie.de
  2. Kleinkind
  3. Märchen
  4. Strohhalm, Kohle und Bohne (10-12 Jahre)

Gute-Nacht-Geschichten

Strohhalm, Kohle und Bohne (10-12 Jahre)

GettyImages-597973328

In einem Dorfe wohnte eine arme alte Frau, die hatte Bohnen vorbereitet und wollte sie kochen. Sie machte also auf ihrem Herd ein Feuer zurecht, und damit es schneller brennen sollte, zündete sie es mit einer Hand voll Stroh an. Als sie die Bohnen in den Topf schüttete, entschlüpfte ihr unbemerkt eine und fiel auf den Boden neben einen Strohhalm. Bald sprang auch eine glühende Kohle vom Herd zu ihnen herab. Da fing der Strohhalm an und sprach: „Liebe Freunde, wo kommt ihr denn her?“

Erfahre mehr zu unseren Affiliate-Links
Wenn du über diese Links einkaufst, erhalten wir eine Provision, die unsere redaktionelle Arbeit unterstützt. Der Preis für dich bleibt dabei unverändert. Diese Affiliate-Links sind durch ein Symbol gekennzeichnet.  Mehr erfahren.

Die Kohle antwortete: „Ich bin zu gutem Glück dem Feuer entsprungen, und hätte ich das nicht mit Gewalt durchgesetzt, so wäre mir der Tod gewiss: Ich wäre zu Asche verbrannt.“ Die Bohne sagte: „Ich bin auch noch mit heiler Haut davon gekommen, aber hätte mich die Alte in den Topf gebracht, ich wäre ohne Barmherzigkeit zu Brei gekocht worden, wie meine Kameraden.“ – „Wäre mir denn ein besseres Schicksal zu Teil geworden?“ sprach das Stroh, „alle meine Brüder hat die Alte in Feuer und Rauch aufgehen lassen, sechzig hat sie auf einmal gepackt, und ums Leben gebracht.

Glücklicherweise bin ich ihr zwischen den Fingern durchgeschlüpft.“ – „Was sollen wir aber nun anfangen?“ sprach die Kohle. „Ich meine,“ antwortete die Bohne, „weil wir so glücklich dem Tode entronnen sind, so wollen wir uns als gute Gesellen zusammen halten, und, damit uns hier nicht wieder ein neues Unglück ereilt, gemeinschaftlich auswandern und in ein fremdes Land ziehen.“ Der Vorschlag gefiel den beiden anderen, und sie machten sich miteinander auf den Weg. Bald aber kamen sie an einen kleinen Bach, und da keine Brücke oder Steg da war, so wussten sie nicht, wie sie hinüber kommen sollten.

Anzeige

Der Strohhalm fand guten Rat und sprach: „Ich will mich quer darüber legen, so könnt ihr auf mir wie auf einer Brücke hinüber gehen.“ Der Strohhalm streckte sich also von einem Ufer zum anderen, und die Kohle, die von hitziger Natur war, trippelte auch ganz keck auf die neu gebaute Brücke. Als sie aber in die Mitte gekommen war und unter sich das Wasser rauschen hörte, ward ihr doch Angst. Sie blieb stehen und getraute sich nicht weiter. Der Strohhalm aber fing an zu brennen, zerbrach in zwei Stücke und fiel in den Bach. Die Kohle stürzte ab. Sie zischte, als sie ins Wasser kam und gab den Geist auf.

Die Bohne, die vorsichtigerweise noch auf dem Ufer zurückgeblieben war, musste über die Geschichte lachen. Sie konnte nicht aufhören und lachte so gewaltig, dass sie zerplatzte. Nun war es ebenfalls beinah um sie geschehen, wenn nicht zu gutem Glück ein Schneider, der auf der Wanderschaft war, sich an dem Bach ausgeruht hätte. Weil er ein mitleidiges Herz hatte, holte er Nadel und Zwirn heraus und nähte sie zusammen. Die Bohne bedankte sich bei ihm aufs schönste, aber da er schwarzen Zwirn verwendet hatte, haben seit der Zeit alle Bohnen eine schwarze Naht.

➤ Kategorie: Grimms Märchen
➤ entnommen aus: Kinder und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm.Verlegt bei Eugen Diederichs. Jena 1912.
➤ angepasst an die zeitgemäße deutsche Sprache

Disclaimer

Liebe Leser*innen,

Grimms Märchen gehören zum kulturellen Erbe und deshalb möchten wir sie hier auch so stehen lassen, wie viele Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sie noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Dennoch: Für uns von familie.de gibt es nichts Wichtigeres, als eine vielfältige, offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Was ihr hier in Grimms Märchen teilweise lest oder vorlest, passt mit unseren Wertvorstellungen oftmals nicht überein.

Die Märchen wurden im frühen 19. Jahrhundert zusammengetragen und waren auch damals nicht primär für Kinder gedacht. Sie sind voll von Brutalität und diskriminierenden Stereotypen. In den Geschichten finden wir nicht nur gruselige Märchengestalten wie Hexen oder Monster, sondern u.a. auch Gewalt an Kindern oder die Bevormundung von Frauen. Das ist nicht nur heute falsch, sondern war es auch damals schon. Zum Glück wachsen unsere Kinder in Zeiten auf, in denen ein Bewusstsein für diese Missstände herrscht.

Ihr kennt eure Kids am besten und daher ist es euch überlassen, ob ihr diese Erzählweise für euren Nachwuchs als angemessen anseht oder nicht; ob ihr Passagen auslasst oder abgeändert vorlest. In jedem Fall: Sprecht mit euren Kindern über das Gelesene und thematisiert das, was gegebenenfalls Angst macht oder Unrecht ist.