Seit Wochen gibt es bei jungen Hexen des Wurzelwaldes nur ein einziges Thema: die Hexenprüfung. Jede von ihnen soll ein wildes Hexenwunder hexen: großartig, gefährlich und ganz und gar gemein. Simsa übt kreischende Kugelblitze, Xarah einen fauchenden Feuerfluch und Walli hat sich einen zischenden Zaubertrank mit grässlich grünen Giftgurken ausgedacht. Nur Abra weiß nicht, was in aller Hexenwelt sie hexen soll. Einen tanzenden Troll? Einen fliegenden Fliegenpilz? Eine rabenschwarze Rennschnecke? Die anderen Hexen rümpfen die Nasen und erinnern Abra noch einmal daran, wie ein wildes Hexenwunder auszusehen hat: großartig, gefährlich und ganz und gar gemein.
Abra grübelt, bis ihr Hexenkopf ganz durcheinander ist. Am Abend vor der Prüfung träumt sie von einer rosaroten Wattewolke, und als ihr Rabe Ratzeputz sie am nächsten Morgen aus dem Schlaf krächzt, hat Abra noch immer keine Idee. Mit gesenktem Kopf macht sie sich auf den Weg zum Rübenhügel, wo die Oberhexe die jungen Hexen erwartet. Als alle da sind, zeigt die Oberhexe mit ihrem knorrigen Finger zuerst auf Simsa. Die wirft ihr wirres Haar nach hinten, schwingt ihren Zauberstab und legt los:
Glühend heißer Warzensaft, quell hervor mit ganzer Kraft. Verbreite deinen faulen Duft, schieße in die dunkle Luft und hole dann aus jeder Ritze kreischend grelle Kugelblitze!Kaum hat Simsa aufgehört zu sprechen, kommt alles wie gehext. Die anderen Hexen klatschen begeistert in die Hände und die Oberhexe überreicht Simsa einen nagelneuen Hexenbesen. Simsa hat bestanden. Auch Xarahs fauchender Feuerfluch und Wallis zischender Zaubertrank werden mit lautem Klatschen und einem Hexenbesen belohnt. Und dann zeigt die Oberhexe auf Abra. Als Abra aufsteht und mit zittrigen Fingern ihren Zauberstab hervorholt, sieht sie, wie Simsa, Xarah und Walli kichernd die Köpfe zusammenstecken. Abra schließt die Augen und überlegt. Aber das Einzige, was ihr einfällt, ist ihr Traum von letzter Nacht. Also dann … Abra holt tief Luft und hebt den Zauberstab:
Wattewolke, bitte, komm in unsre Mitte. Süß sollst du sein, rosa und fein.
Die Oberhexe runzelt die Stirn, als mit einem leisen Puff ein rosaroter, klebrig süßer Watteschaum aus Abras Zauberstab hervorkommt und über ihren Köpfen zu einer dicken Wolke wird. Die Oberhexe kommt drohend auf Abra zu. »Eine rosa Wolke?! Süß und fein?! Du bist wohl von allen bösen Geistern verlassen!« Abra blickt zu Boden. Die Oberhexe will sie gerade nach Hause schicken, da erscheint am Himmel plötzlich etwas Großes, Schwarzes: Feurio, der furchtbare Fledermäuserich! Schon seit Jahren treibt er sein Unwesen in den westlichen Wäldern und keine Hexe hat es je gewagt, sich ihm in den Weg zu stellen. Seine Augen glühen feurig und seine schwarzen Flügel senken sich bedrohlich auf die Hexen herab, bis sie sich … in Abras Wolke verfangen. Feurio kreischt auf und will mit den Flügeln schlagen – aber es geht nicht. Die Wolke ist so dicht und klebrig, dass sich Feurio nicht mehr bewegen kann. Hilflos hängt er in der Luft und aus dem wilden Kreischen wird ein jämmerliches Krächzen.
Die Hexen staunen. »Großartig!«, flüstert Simsa. »Gefährlich!«, wispert Xarah. »Ganz und gar gemein!«, haucht Walli. Die Oberhexe sieht Abra scharf an. »Unter einem wilden Hexenwunder habe ich mir eigentlich etwas anderes vorgestellt«, knurrt sie. Doch dann überreicht sie Abra den Hexenbesen und fügt augenzwinkernd hinzu: »Aber man lernt ja nie aus.«
➤ Kategorie: Gute-Nacht-Geschichten
➤ Text von Isabel Abedi/Illustrationen von Barbara Scholz aus dem Buch "Lustige Hexengeschichten zum Vorlesen", ellermann im Dressler Verlag
➤ Buch bei Amzon bestellen
➤ Hier können Sie die Geschichte kostenlos downloaden: "Abras wildes Hexenwunder"
