In diesem Jahr waren Monster beliebt. Ina konnte das nicht verstehen. Sie fand Monster richtig blöd. Plötzlich wollte jeder so ein kleines, haariges Ding haben. In allen Farben wurden sie durch die Straßen spazieren geführt. Einige Kinder brachten ihre Monster sogar mit in den Kindergarten. Und frech waren diese Monster! Manchmal schauten sie aus den Taschen der Kinder hervor und sprangen außer Rand und Band durch den Flur. Dann mussten alle Kinder suchen helfen. Monster sind nämlich ganz anders als Hunde, sie hören kein bisschen auf ihre Besitzer. Zum Glück beißen sie wenigstens nicht, dachte Ina, als Mama sie gerade vorm Kindergarten abgesetzt hatte.
Ein oranges Monster schnupperte an ihrer Hose. „Aus!“, rief Ina und schaute das Monster streng an. Jaulend huschte es zu seiner Besitzerin. Oh, das war ja ihre beste Freundin Jula! „Mensch, Ina“, sagte Jula beleidigt. „Jetzt hast du ihn erschreckt.“ Sie nahm das zottelige Monster auf den Arm. „Ist doch sooo süß, oder?“ Jula lächelte. Doch Ina schüttelte den Kopf. „Nee, überhaupt nicht. Monster sind zottelig und grauselig und machen immer Faxen.“ Ina wollte nicht, dass ihre beste Freundin jetzt auch so ein haariges Ding hatte! „Ich dachte, du magst keine Monster“, sagte sie. Jula schüttelte den Kopf. „Ach, das hab ich doch nur so gesagt, weil ich keins haben durfte. Aber seit ich Gürkchen bekommen habe, find ich ihn natürlich toll“, sagte Jula. Ina sah ihre Freundin verwirrt an. „Gürkchen?“, fragte sie. Jula nickte stolz. „So heißt er. Weil er am liebsten Gurken mag. Putzig, oder?“ Das fand Ina gar nicht. Diese Monster hatten alle so seltsame Namen. Lukas’ Monster hieß Möhrchen, Anna nannte ihr Monster Brötchen, und Inas Nachbar rief sein Monster Fleischbällchen. Ina seufzte und ging durch die Eingangstür in den Kindergarten. Sie musste über vier Leinen steigen und wäre fast auf ein blaues Monster getreten. „Pass doch auf Pfläumchen auf“, zischte ein Mädchen sie an. „Pfläumchen?“, rief Ina. Das war zu viel. Sie bekam einen Kicheranfall. Sie lachte so sehr, dass sich ihre Beine in den vielen Leinen verhedderten. Plumps, fiel sie auf den Boden. Die vielen kleinen Monster dachten, Ina wolle spielen, und sprangen glucksend an ihr hoch, pusteten ihr ins Ohr und zupften an ihrer Nase. Bald rollte Ina mit acht bunten Fellknäueln auf dem Boden herum, während sie ihre Beine aus den Leinen befreite. „Stopp!“ Eine laute Stimme erklang. Sofort sprangen alle Monster zu ihren Kindern zurück. Nur Ina lag noch auf dem Boden. „Ina, was soll denn das?“, fragte Frau Krause, die Leiterin des Kindergartens. „Ich hab doch gar nichts gemacht“, murmelte Ina, während sie aufstand. Überall an ihren Sachen hingen bunte Fellhaare. Sie sah beinahe selbst aus wie ein Monster. „Ina, Monster dürfen nur mit in den Kindergarten, wenn sie sich auch benehmen“, sagte Frau Krause streng. Sie drehte sich um und ging zurück in ihr Büro. „Aber ich hab ja gar kein Monster!“, rief Ina. Doch die Tür war schon zu. Frau Krause hörte sie nicht mehr. Na, das war ja mal wieder super unfair, fand Ina. Die anderen Kinder liefen in ihre Gruppenräume.
Ina setzte sich unter ihren Garderobenhaken. Lustigerweise war Inas Garderobenbild ein kleines Monster. Bevor es überall Monster gab, hatte Ina das gut gefunden. Aber jetzt ... Wütend versuchte Ina, das Holzschild abzuknibbeln. „Ina, was tust du da? Du kannst doch die Garderobe nicht kaputt machen“, sagte Susanne. Die Erzieherin stand hinter ihr. „Aber ich …“ Ina machte den Mund wieder zu. Es wollte ja sowieso niemand zuhören! Susanne kniete sich vor sie und schaute sie freundlich an. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ Ina sah sich um, ob auch niemand lauschte. „Ich mag keine Monster“, flüsterte sie. Susanne schmunzelte. Dann sah auch sie zu allen Seiten und flüsterte zurück: „Ich auch nicht.“ Die beiden kicherten verschwörerisch. Susanne nahm Ina an die Hand, und sie gingen in den Gruppenraum.
„Guten Morgen, liebe Kinder“, rief Susanne. „Ab heute sind im Gruppenraum keine Monster mehr erlaubt. Ihr könnt sie gleich in den Monsterlaufstall im Flur bringen.“ Die anderen Kinder schimpften und bettelten, aber Susanne schüttelte nur den Kopf. „Nein, sie bringen zu viel durcheinander.“ Ina seufzte zufrieden. Endlich war das vorbei mit den blöden Fellknäueln. Der Kindergartentag verlief wie früher, bevor es Monster gegeben hatte. Ab und zu hörte Ina noch ein Fiepen und Fauchen, ein Grunzen und Glucksen vom Flur, doch sonst war alles wie immer. Es gab einen Morgenkreis mit Singen und Spielen, dann puzzelte Ina mit Anne und baute eine Polizeistation mit Lukas. Nur Jula spielte nicht mit ihr. Sie hatte gesehen, dass Ina mit Susanne gekichert hatte, und war sauer. „Nur wegen dir dürfen wir heute nicht mit unseren Monstern spielen“, zischte sie, als Ina mit ihr frühstücken wollte. Traurig setzte Ina sich allein an den Frühstückstisch. Es war schön ohne Monster - aber überhaupt nicht schön ohne Jula.Nach dem Frühstück stand Ina auf. „Ich geh mal zum Klo“, sagte sie. Susanne nickte. Ina lief durch den Flur zu den Toiletten, huschte in eine Kabine und machte Pipi. Plötzlich fiepte etwas neben ihr. Ina sah sich um. In der Ecke lag eine leere Klopapierrolle, aus der etwas Rotes hervorblitzte. Ina zog die Hose hoch und spülte. Neugierig beugte sie sich hinunter. Die Klopapierrolle zitterte. Das rote Zeug, was daraus hervorschaute, war Fell! Es war ein kleines Monster, das sich vor Angst verkrochen hatte! „He, Kleiner, du brauchst dich nicht zu fürchten“, flüsterte Ina. Sie nahm die Klopapierrolle in die Hand und schaute hinein. Zwei ängstliche Augen sahen sie an. „Alles ist gut“, wisperte Ina und summte leise Heile, heile Gänschen, damit das Monster sich beruhigte. Als Ina ihre Hand vor die Rolle hielt, kratzte es in der Pappe, und ganz langsam kroch das Monster auf Inas Handfläche. Mit großen Augen blickte es zu Ina hinauf. Es zitterte noch immer. Erst als Ina es mit beiden Händen beschützte und an ihre warme Wange drückte, wurde es ruhiger. Schließlich hörte Ina, dass es leise schnurrte. Als sie ihre Hände öffnete, hatte das Monster seine Augen geschlossen: Es schlief. Ina lächelte. Wie süß. Ups! Ina stutzte. Fand sie etwa ein Monster niedlich? Ja, so war es! Es war ganz furchtbar niedlich und putzig und weich und sooo süß.
Langsam ging Ina zu ihrem Gruppenraum. Sie wollte ja nicht, dass das kleine Monster aufwachte. Sie steckte den Kopf durch die Tür. „Susanne, kommst du mal?“, rief sie. Die Erzieherin nickte und trat zu ihr auf den Flur. „Alles gut?“, fragte sie besorgt. Ina grinste. „Schau mal!“ Sie öffnete die Hände. Susanne zuckte zurück. „Huch, wo hast du das denn gefunden?“ Ina schloss die Hände wieder. „Unterm Klo“, erklärte sie. „Es hatte Angst. Aber als ich es beschützt habe, wurde es ruhig, und jetzt schläft es. Und … ich finde es niedlich.“ Susanne sah sie ungläubig an. „Zeig noch mal“, sagte sie. Lange schaute sie auf das rote Fellknäuel. Erst dann traute sie sich, es vorsichtig zu streicheln. „Es ist wirklich weich“, flüsterte sie. Ina nickte. Die Erzieherin lächelte. „Vielleicht sollten wir ein bisschen mit den Monstern spielen und sie kennenlernen, was meinst du?“ Ina lachte. „Ja, vielleicht mögen wir sie dann sogar.“ Gemeinsam suchten sie nach dem Frauchen des roten Monsters und gaben es ihr zurück.
Den Rest des Vormittags hockten alle Kinder vor dem Monsterlaufstall im Flur und spielten mit den bunten Felldingern. Bald fand auch Susanne die Monster recht putzig. „Ich glaube, ich möchte jetzt auch eins haben“, sagte Ina, als der Kindergarten zu Ende war. Susanne nickte. „Das habe ich eben auch gedacht.“ Ina schaute in den Laufstall. „Ich denke, ich wünsche mir ein weißes. Das nenne ich Schneeflöckchen.“ Susanne lächelte. „Nicht Knödelchen oder Quarkchen oder Törtchen?“ Ina runzelte die Stirn. „Ganz bestimmt nicht. Das finde ich nämlich immer noch blöd.“ Da musste Susanne lachen. Ina rannte schnell zu Jula, um ihr alles zu erzählen. Und natürlich auch, um Gürkchen, ihr kleines Monster, ausgiebig zu streicheln und zu knuddeln.
➤ Kategorie: Gute-Nacht-Geschichten
➤ Text Sandra Grimm/Illustrationen Stephan Pricken aus dem Buch "Fantastische Vorlesegeschichten. Hexen, Drachen, Zauberer", ellermann im Dressler Verlag
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