Nocturna wohnte mit ihren Eltern und ihren sieben Brüdern in einem alten Schloss, das zum Keller eines alten Hauses gehörte. Nocturnas Zuhause war nämlich ein Türschloss: von außen verrostet und von innen sehr geräumig – zumindest für Nocturnas Familie. Denn sie waren die kleinsten Gespenster der Welt. Klein wie Sandkörner und mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Glücklich und zufrieden lebten sie in ihrem Schloss, bis ein Freitagmorgen alles veränderte. Nocturnas Mama las ihren Kindern gerade eine Gutentaggeschichte zum Einschlafen vor, als sie unterbrochen wurde. Außen am Schloss klapperte etwas, und eine Männerstimme sagte: »Dieses verdammte Schloss lässt nicht locker. Gib mal den Bohrer.« Gleich darauf dröhnte es so laut, dass sich Nocturnas Familie zitternd aneinander klammerte. Aber es kam noch schlimmer: Als das Dröhnen aufhörte, wurde das Schloss ruckartig nach vorne gezogen und auf den Kopf gestellt, sodass die Gespenster wild durcheinanderpurzelten. Dann hustete und pustete jemand. Staub flog auf. Und mit ihm wirbelten die Gespenster aus ihrem Schloss – und landeten auf dem harten Kellerboden. »Geschafft«, sagte die Männerstimme, »jetzt kommt das neue.« Die Gespenster drückten sich an die Wand und sahen erschrocken zu, wie zwei Männer in blauen Anzügen ein silbernes Schloss in die Tür einbauten. Es dauerte lange. Und als die Männer gegangen waren, machte Nocturnas Familie eine furchtbare Entdeckung: Das neue Schloss war ein modernes Sicherheitsschloss mit einem winzigen Schlüsselloch. Da passte nur der richtige Schlüssel rein – und keine zehnköpfige Gespensterfamilie. »Unser schönes, altes Schloss«, schluchzte Mama. »Unsere schönen, alten Sachen«, stöhnte Papa. »Alles weg«, seufzte Balduin. Und sein Bruder Ottokar fragte, was sie denn nun machen sollten. »Ein neues Schloss suchen«, sagte Nocturna. Mama lächelte schwach. »Ach Kind. So ein Zuhause gibt es für uns nicht noch einmal.« »Dann gibt es eben ein anderes«, sagte Nocturna und schwebte zur Haustür hinaus.
Draußen mussten sich die Gespenster erst mal an das Tageslicht gewöhnen. Sie waren ja sonst nur in der Nacht unterwegs.»Alles ist so riesig«, sagte Balduin und sah an einer Laterne hoch. »Und so laut«, stöhnte Mama, als ein Lastwagen an ihnen vorbeidonnerte. »Und so bunt«, bestaunte Nocturna eine rote Rose. »Und gleich wird es nass«, sagte Papa. Am Himmel zogen dunkle Wolken auf. Bald darauf fielen die ersten Regentropfen. »Hilfe«, schrie Ottokar, denn für die winzigen Gespenster war ja jeder Tropfen wie ein Eimer voll Wasser. In Windeseile schwebten sie in den Flur ihres Hauses zurück und kauerten sich neben die Kellertür. Mama heulte. Papa fluchte. Die sieben Brüder stritten.Und Nocturna? Die schwebte die Treppen hinauf, bis zur Dachwohnung. Darin sang jemand: »Happy birthday, lieber Julien, happy birthday to you.« Neugierig flog Nocturna unter dem Türspalt hindurch. Auf einem großen Tisch sah sie einen Kuchen mit sechs Kerzen. Daneben stand: ein Ritterschloss mit einer roten Schleife drum herum. Es war kaum größer als ein Schuhkarton, aber für Nocturna war es das Größte. Sie sauste nach unten und jubelte: »Wir haben ein neues Zuhause!« Alle starrten das Gespenstermädchen ungläubig an. Doch als Nocturna ihre Familie zum Ritterschloss führte, fielen sich die Gespenster vor Freude um den Hals. Das war ein wunderbares Zuhause! Noch in derselben Nacht zog die Familie ein. Jeder bekam sein eigenes Turmzimmer. Und wenn Julien mit dem Schloss spielte – dann spielten die Gespenster einfach mit. Julien merkte nie etwas davon. Aber irgendwie machte ihm das Spielen mit seinem Ritterschloss unheimlich viel Spaß.
➤ Kategorie: Gute-Nacht-Geschichten
➤ Text Maren von Isabel Adebi/Illustrationen von Barbara Scholz aus dem Buch "Kleine Gespenstergeschichten zum Vorlesen", ellermann im Dressler Verlag
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