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Gute-Nacht-Geschichten

Wo die Schokolade wächst (3-4 Jahre)

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Benno tritt aufgeregt von einem Bein auf das andere. Die Kiste neben dem Süßigkeitenregal ist randvoll mit Schokoladentäfelchen. In drei Reihen liegen sie nebeneinander. Die Tafeln sind nicht viel größer als Bennos Handfläche, aber sie verströmen einen Duft, der sich einige Male fest um Bennos Nase wickelt und ihn nicht mehr loslässt. Mild und geheimnisvoll und ein wenig nach Vanille. Die Schokoladentafeln sind mit buntem Papier verpackt. Auf der roten Verpackung ist eine weiße Blüte abgebildet, deren Blätter wie kostbare Perlen aussehen. Ein tanzender Mann mit einem Federhut ist auf der grünen und eine Frucht, die wie eine Melone aussieht, auf der braunen Verpackung. Benno schließt die Augen und saugt den Geruch ein. Das kitzelt in Bennos Nase. Hm! Am liebsten würde er einfach durch das Papier in die Schokolade hineinbeißen.
„Komm, Benno. Wir müssen los. Mario wartet!“ Mama hat sich neben Benno gestellt. Sie legt ihm die Hand auf den Rücken und schiebt ihn sanft in Richtung Kasse. Benno zeigt seiner Mutter die Schokolade. „Kann ich die haben? Für Mario, als Geschenk. Bitte, Mama.“ Mama nimmt die Tafel und liest, was draufsteht. „Die ist aber teuer.“ „Aber es ist ganz besondere Schokolade“, sagt die Frau an der Kasse.
Wenig später sitzt Benno mit seiner Mutter im Bus. Puh, ist das heiß heute. Der Bus fährt über eine endlos lange Straße mit vielen Geschäften. Benno dreht die Schokolade in seinen Händen. „Dauert es noch lange, bis wir da sind? Ich hab solchen Hunger.“ Mama lacht. „Aber wir haben doch gerade erst gefrühstückt, Benno. Ich glaube eher, du hast Appetit auf die Schokolade. Aber die ist doch für Mario, oder?“ Benno rutscht in seinem Sitz tief nach unten und macht ein missmutiges Gesicht. Ob Mario sich über das Geschenk freut? Das Silberpapier knistert, als Bennos Finger darüberstreicht, und die gelbe Melonenfrucht leuchtet auf dem braunen Papier. Auf einmal kann Benno nicht anders. Er löst vorsichtig das Silberpapier. Jetzt kann er ein winzig kleines Stück der schwarzbraun glänzenden Schokolade sehen. Ganz würzig riecht sie und auch ein bisschen nach Orangen.
„Wenn du die Schokolade aufisst, hast du kein Geschenk für Mario.“ Mama schaut Benno über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg an. Benno wiegt den Kopf. Stimmt! Benno mag Mario richtig gern. Also faltet er das Silberpapier wieder zusammen und steckt die Schokolade in seinen Rucksack. Draußen taucht jetzt der große Park auf. Dann kommt das Restaurant mit den beiden Steinlöwen am Eingang. Hier muss man aussteigen, wenn man zu Mario will.
„Da seid ihr ja endlich! Ich dachte schon, ich muss heute alleine in den Klettergarten gehen.“ Mario beugt sich über das Geländer und schaut zu, wie Benno und Mama die Treppe zu seiner Wohnung hochkeuchen. Mario öffnet die Arme und lässt sich nach hinten in den Flur umfallen, als Benno ihn umarmt. „Ich hab dir was mitgebracht“, sagt Benno und rappelt sich hoch. Stolz öffnet er seinen Rucksack und greift hinein. Aber was ist das? Die Schokolade fühlt sich auf einmal weich und matschig an. Und da, wo Benno sie anfasst, wird sie ganz dünn und platt. „Oje“, sagt Mama. „Die Schokolade ist in der Hitze geschmolzen. Wie schade.“ Benno ist wütend und traurig zugleich. Blöde Schokolade. Er wollte doch Mario damit eine Freude machen. „Das ist aber ein tolles Geschenk, Benno, eine richtige Kostbarkeit!“, sagt Mario da.
Benno ist erleichtert, dass Mario das Geschenk gefällt. „Und warum willst du sie dann nicht gleich aufessen?“ Mario legt die weiche Schokoladentafel vorsichtig auf seine flache Hand und balanciert sie zum Kühlschrank. „Später, Benno. Erst muss die Schokolade im Kühlschrank wieder fest werden. Außerdem will ich mir Zeit nehmen, die Schokolade richtig zu genießen.“ Benno verzieht enttäuscht das Gesicht. „Wozu denn Zeit für so eine kleine Schokolade. Da machst du happs, und weg ist die“, erklärt Benno. „Schon, aber diese Schokolade ist etwas Besonderes. Sie ist aus ganz feinen Bohnen gemacht.“ Benno runzelt die Stirn. Jetzt versteht er gar nichts mehr. „Aus Bohnen? Aber die sind doch grün. Und warum ist die Schokolade überhaupt geschmolzen?“ Mario lehnt sich gegen die Kühlschranktür und verschränkt die Arme. „Schokolade wird aus Kakaobohnen gemacht. Die sind braun. Und sie schmilzt, weil …, weil …“ „Weil die gemahlenen Kakaobohnen mit Kakaobutter vermischt werden „, sagt Mama. „Und wo wachsen diese Bohnen?“ Benno will es jetzt ganz genau wissen. Mario nimmt Bennos Hand. „Weißt du was? Drüben im Park gibt es ein Gewächshaus, und da drin wächst ein echter Kakaobaum.“ „Prima!“, findet Mama und legt den Arm um Marios Schulter. „Benno und ich haben noch nie einen Kakaobaum gesehen. Wie ist es, Benno, hast du Lust?“ Und ob.
Am Eingang vom Park studiert Mario die Hinweistafel mit den bunten Pfeilen. Er zeigt in die Richtung vom Gewächshaus, und Benno saust los. Den kleinen Hügel runter und über die Brücke. Dann steht er vor einem langen Gebäude, das eigentlich nur aus großen Glasfenstern besteht. Drinnen wimmelt es nur so von Pflanzen und Blättern. Große, lange, kleine, dicke, schmale – alle drängeln und schlängeln sich hinter den Glasscheiben ans Licht. Oben an der Hügelkuppe tauchen jetzt Mama und Mario auf. Mensch, sind die langsam. Benno winkt ihnen. Dann drückt er die große Tür auf und verschwindet im Gewächshaus. Drin ist es stickig wie in einem echten Dschungel! So warm und feucht ist es hier drin, dass Benno fast gar nicht richtig atmen kann. „Ich suche den Schokoladenbaum“, sagt Benno zu einem dünnen Mann am Eingang. „Wo wächst der?“ Der Mann kratzt sich am Unterarm. Seine Finger sind braun von Erde. „Den Kakaobaum meinst du. Der steht dort, gleich hinter dem Teich.“ Benno schlängelt sich den schmalen Kiesweg entlang. Ob es hier auch gefährliche Tiere gibt? Es raschelt und ploppt so merkwürdig. Aber das sind bloß die Wassertropfen, die von den Blättern fallen. Benno bleibt vor dem Teich stehen und schaut sich um. Ein schlanker Baum mit gegabeltem Stamm und kleinen Blättern steht vor ihm.
Aber anstelle von Schokolade wachsen ganz hoch oben viele leuchtend gelbe Früchte am Stamm. Die sehen genauso aus wie die Frucht auf der Schokolade, die Benno Mario geschenkt hat! Und direkt am Stamm hat der Baum auch herrlich weiße Blüten. Die Blüten kommen Benno ebenfalls bekannt vor. Die waren auf den rot verpackten Schokoladentafeln. „Na, du hast den Kakaobaum ja schon entdeckt.“ Benno dreht sich um. Mario und Mama stehen hinter ihm. Und auch der Mann vom Eingang. „Ich weiß nicht, ob es der richtige Baum ist“, murmelt Benno. „Auf dem wachsen ja gar keine Bohnen.“ „Doch“, sagt der dünne Mann und bückt sich zu Benno hinunter. „Siehst du die gelben Früchte ganz oben am Stamm?“ „Die aussehen wie Melonen?“ „Genau. Das sind Kakaofrüchte. Die Bohnen sind in der Frucht. Ganz viele eng zusammen. Wie die Kerne in einer Melone.“ „Und wie kriegt man die Bohnen von da oben runter?“, will Benno wissen. „In Afrika und Südamerika, wo die Kakaofrüchte im Regenwald wachsen, schneiden Plantagenarbeiter die Früchte mit langen Sicheln vom Stamm. Das ist anstrengend und sehr gefährlich.“ „Gibt es dazu keine Maschinen?“, fragt Mama und macht mit ihrem Handy ein Foto vom Kakaobaum. „Leider nicht. Deshalb ist Kakao auch so teuer, weil die Ernte in Handarbeit geschieht. Braunes Gold, so nennen die Händler die Kakaobohnen.“
Benno reckt den Hals. „Schade, dass die Früchte so weit oben wachsen. Sonst könnte ich ein paar mitnehmen und zu Hause Schokolade machen.“ „Komm“, sagt der Mann. „Vorne an der Kasse hab ich was für dich.“ In dem kleinen Büro neben dem Eingang zieht der Mann eine Schublade auf. Er kramt eine mit Blumen verzierte Blechschachtel heraus. Es scheppert leise darin, als der Mann sie öffnet. Hellbraune und dunkelbraune Bohnen sind in der Kiste. Sie duften einfach herrlich.
Schokolade!“ „Noch nicht ganz!“ Der Mann lässt einige der Kakaobohnen durch seine Finger gleiten. „Die Bohnen werden mit einem Messer aus den Früchten gekratzt und dann in der Sonne getrocknet. Danach werden sie auf Schiffe verladen, und die bringen sie zu uns.“ „In die Schokoladenfabriken!“, weiß Benno. „Stimmt. Da gibt es eine Menge spezieller Maschinen, die die Bohnen rösten und mahlen. Die meisten Schokoladenfabrikanten benutzen zur Herstellung ihrer Schokoladen eigene Geheimrezepte.“ Der Mann lässt drei Bohnen in Bennos Hand fallen. Benno nimmt eine Bohne zwischen die Finger und beißt hinein. „Ihh, das schmeckt bitter.“ Der Mann schmunzelt. „Das kommt, weil in Kakaobohnen kein Zucker drin ist. Erst der Zucker macht die Schokolade süß.“
Zu Hause stellt Mario eine Pfanne auf den Herd und gibt zwei Kakaobohnen hinein. Zwanzig Minuten müssen die Bohnen geröstet werden, dann gehen die festen Schalen drum herum ab, und die Bohnen fangen noch mehr an zu duften. Jetzt gibt Mario die Kakaobohnen in seinen Steinmörser und zerbricht und zermahlt sie zu einem feinen Pulver. Und weil zwei Bohnen zu wenig sind für eine ordentliche Portion Schokolade, fügt Mario noch ein paar Löffel von seinem Biokakao hinzu. Mama holt Kokosfett aus dem Kühlschrank und gibt es für Benno in einen Topf. Benno rührt langsam, bis das Fett in der Pfanne auf der warmen Herdplatte zerschmilzt. Jetzt kommt das Kakaopulver dazu und ein wenig Zucker. „Das lange Rühren ist das Wichtigste, wenn man gute Schokolade machen will“, weiß Mario aus dem kleinen Buch, das er sich im Gewächshaus gekauft hat. „Nur wenn man die Schokolade lange genug rührt, schmilzt sie im Mund.“ Mario gibt Vanillezucker und etwas Zimt zur Schokolade. Das duftet so herrlich, dass Benno das Wasser im Mund zusammenläuft. Mama hat eine Auflaufform mit Keksen ausgelegt. Benno darf die flüssige Schokolade darüber gießen. „Das ist unser Dessert für heute Abend!“, verkündet Mario und stellt alles in den Kühlschrank.
Nach dem Abendessen ist es endlich so weit: „Achtung, bitte Platz machen für unser Dessert.“ Mario stellt die Auflaufform aus dem Kühlschrank auf den Tisch. Benno schnuppert daran. Ganz geheimnisvoll nach Vanille und Zimt duftet die Schokolade zwischen den Keksen. Jetzt werden sie alle zusammen ihre selbst gemachte Schokolade in Ruhe genießen. Sonst schmeckt sie ja gar nicht richtig, findet Benno.
➤ Kategorie: Gute-Nacht-Geschichten
➤ Text: Susanne Orosz, aus Warum wächst Schokolade nicht auf Bäumen?, Vorlesegeschichten rund ums Essen © Dressler Verlag GmbH, www.ellermann.de

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