Haben auch Kinder Phobien? Ja natürlich, und zwar gar nicht mal so selten. Wie sich Phobien bei Kindern zeigen und wie ausgeprägt sie sein können, kann ich aus erster Hand berichten: Seit 12 Jahren meistern mein Sohn und ich unseren Alltag mit seiner Knopfphobie.
Mein Sohn war zwei Jahre alt, als er eines Morgens schreiend aus dem Bett aufsprang. Ich bekam einen riesen Schreck und fragte, was passiert sei. Er zeigte auf die Bettwäsche und sagte völlig aufgelöst „Knöpfe"! Der Beginn des großen Themas „Kind mit Phobie".
Mich packte die Wut. Natürlich nicht auf den kleinen Kerl, sondern auf seine Oma väterlicherseits. Ihre Knopfphobie war mir bekannt, ich hatte schon oft herzhaft darüber gelacht – ein echter Partykracher. Ich war mir sicher, dass sie meinem Sohn irgendetwas erzählt hätte, das ihn beeinflusst hat. Ich rief sie an, aber sie schwor Stein und Bein, niemals irgendetwas über Knöpfe zu ihm gesagt zu haben. Ich war nur halb überzeugt, aber ich beschloss, erstmal cool zu bleiben und abzuwarten. Vielleicht war ja gar nichts und er hat es Morgen schon vergessen ... Pustekuchen! Er vergaß es nicht. Stattdessen wurde es immer schlimmer.
Kind mit Phobie? Seufzen und akzeptieren!
Bald legte sich mein Sohn unter keine Decke mehr mit Knöpfen, weinte und wand sich, wenn ich ihm Kleidung mit Knöpfen anziehen wollte. Er hielt vermehrt Abstand zu Menschen mit Knöpfen an den Klamotten.
Natürlich war er zu klein, um es mir zu erklären, aber ich sah schnell ein, dass das wohl keine Phase war, die ich aussitzen konnte. Traurig begann ich, seinen Kleiderschrank auszumisten. Adieu geliebte Latzhosen! Hallo Pull-on-Jeans! Sämtliche Bettwäsche musste auf Reißverschluss umgestellt werden, Zierkissen mit Knopfleiste wurden abgeschafft und auch meine Garderobe musste angepasst werden. Zum Glück trug ich eh nie gerne Blusen.
Was ist überhaupt eine Knopfphobie?
Ich setzte mich mit dem Thema auseinander. Die sogenannte Koumpounophobie gehört zu den sogenannten spezifischen Phobien. So etwas entwickeln 10 bis 12 % der Menschen im Laufe ihres Lebens.
Nun kann eigentlich fast jede*r eine Spinnenphobie nachvollziehen. Auch eine Clownphobie scheint mir absolut gerechtfertigt. Aber was ist nur mit Knöpfen?! Dementsprechend waren auch die Reaktionen unseres Umfeldes. Manche sahen es irgendwie als niedliche Macke, andere meinten, dass ich auf solche Marotten nicht eingehen sollte, einfach hart bleiben („Das gibt sich schon!"). Völliger Blödsinn! Eine Phobie ist keine Marotte.
Woher die spezifischen Phobien kommen, ist bisher übrigens nicht geklärt. Als ich unserer Kinderärztin davon erzählte, bekam sie fast leuchtende Augen und meinte: „Ich wusste es. Das vererbt sich!" Sie erzählte von anderen Beispielen aus ihrer Praxis und dass sie fest von einer genetischen Veranlagung ausgehe.
Übrigens denken viele bei einer Phobie immer an Angst. Knopfhasser haben keine Angst vor den runden Dingern. Sie ekeln sich davor, sie können richtiggehend für Übelkeit sorgen.
Die Gretchenfrage bei Phobien bei Kindern: Therapie ja oder nein?
Eine Therapie empfahl uns unsere Ärztin vorerst nicht. Bei einer spezifischen Phobie bedeutet Therapie „Desensibilisierung". In mindestens 20 Sitzungen werden die Patient*innen immer wieder mit den auslösenden Stimuli konfrontiert. Also immer wieder ihren Ängsten bzw. Abneigungen ausgesetzt, so lange, bis sie sie nicht mehr so schlimm finden. Das erscheint mir mehr als grausam. Das wollte ich meinem Sohn auf keinen Fall zumuten.
Sicher gibt es Fälle, wo der Leidensdruck hoch genug ist, um einen solchen Schritt in Erwägung zu ziehen. Aber eine Koumpounophobie sorgt im Alltag ja nicht unbedingt für schmerzliche Einschränkungen. Klar, hat man die Kleinkindgröße erstmal hinter sich gelassen, dann wird die Suche nach einer Hose ohne Knopf zunehmend schwieriger. Allerdings ist die aktuelle Mode da ja gnädig. Und spätestens seit Corona ist die Jogginghose bei Jungs in meinem Freundeskreis ohnehin zum liebsten Kleidungsstück geworden. Für Klassen- und Vereinsfahrten packte ich einfach immer eigene Bettwäsche für ihn ein und bei einer Hochzeit trug mein Sohn ein Polohemd mit abgeschnittenen Knöpfen. Sollte das irgendjemandem aufgefallen sein, hat zumindest niemand etwas dazu gesagt.
Mein Tipp an Eltern von Kids mit Phobie
Ihr kennt euer Kind am besten. Lasst euch nicht einreden, dass es sich nur anstellt oder ähnliches. Nicht jede*r kann eine ungewöhnliche Phobie ernst nehmen, aber nehmt ihr euer Kind ernst. Zeigt Verständnis, auch wenn es keine Antwort auf das „Warum" gibt. Die Entscheidung für eine Therapie hängt meiner Meinung nach stark davon ab, wie sehr die Angst oder der Ekel das Kind im Alltag belastet.
Spezifische Phobien bei Kindern und Erwachsenen: Wir sind nicht allein!
10 % bedeutet ja, dass 10 von 100 Menschen betroffen sind. Das ist eine ganze Menge! Jede*r kennt also vermutlich einen oder mehrere Betroffene. Nur weiß man es bei den meisten eben nicht.
Als wir einmal mit einem Kitafreund und dessen Mutter unterwegs waren, sagte sie plötzlich mit ängstlichem Blick: „Schnell, wir müssen die Straßenseite wechseln!" – Ok, klar, was ist los?! Sie bugsierte ihren Sohn schnell an irgendwas vorbei, wir hasteten hinterher. Irgendwann atmete sie auf und meinte: „Mein Sohn hat panische Angst vor Luftballons" – seltsam, sich über so etwas zu freuen, aber ich war irgendwie erleichtert und hätte sie am liebsten umarmt.
Später hatte ich sogar eine Kollegin, die auch an Knopfphobie litt. Die machte mir ein bisschen Hoffnung, denn als Erwachsene könne sie inzwischen zumindest Jeansknöpfe ohne Löcher ertragen.
Phobien bei Kindern bessern sich oft im Laufe des Lebens
Und tatsächlich wird die Phobie auch bei meinem Sohn mit zunehmendem Alter besser. Sie ist nicht verschwunden, aber er kann Knöpfe ausblenden, solange er sie nicht sieht oder berührt. Das ist doch schon mal was.
Und sollte er sich als Erwachsener eingeschränkt fühlen, dann kann er sich immer noch für eine Desensibilisierung entscheiden – aus eigenem Antrieb und nicht, weil ich das so wollte. Ich rechne allerdings nicht damit.
Inzwischen finde ich seine Knopfphobie auch irgendwie liebenswert und er kann sogar manchmal schon selbst ein bisschen drüber lachen.
Knopfphobie als Markenzeichen
Und nicht mal beruflich muss es von Nachteil sein. Man kann ganz ohne Hemd und Anzug sogar einen Weltkonzern leiten. Wusstet ihr, dass Steve Jobs, der CEO und Mitgründer von Apple, der bisher wohl berühmteste Knopf-Phobiker war? Ihn sah man immer nur im schwarzen Rollkragenpulli – ging doch auch!