In vielen Kindergärten wird einmal im Jahr für drei Monate das ganze Spielzeug weggeräumt. Die Idee dabei ist, mehr Raum für Fantasie und Kreativität zu schaffen. Warum dieses Projekt seit über 25 Jahren landesweit Erfolg hat.
Stark im Leben - Weniger anfällig für Suchtkrankheiten
Was hat ein Kindergarten mit Suchtprävention zu tun? Mehr als man glauben mag, denn die Grundsteine, ob ein Mensch später dazu neigt süchtig zu werden, werden in frühester Kindheit gelegt. Wie eine Person mit schwierigen Lebenssituationen umgeht, wird früh erlernt. Die Flucht in Alkohol oder andere betäubende Mittel, beziehungsweise der verantwortungsbewusste Umgang mit Rauschmitteln wird davon beeinflusst, wie gefestigt ein Mensch ist. Die Forschung spricht von "Lebenskompetenzen", die einen Menschen stärken, nicht in ein Suchtverhalten zu verfallen. Damit sind grundlegende Fähigkeiten gemeint, die uns die Herausforderungen des Lebens bewältigen lassen, wie zum Beispiel, wie gut wir Beziehungen aufbauen und aufrecht erhalten können. Dazu gehört, sich verständlich machen zu können und andere verstehen und deren Bedürfnisse erkennen zu können.
Die Forschung zur Vorbeugung von Suchtkrankheiten hat herausgefunden, wer bereits als Kind gefördert wird auf andere zuzugehen, konkrete Situationen aktiv zu gestalten und zu verändern, läuft später weniger Gefahr, dem Alkoholismus oder anderen Süchten zu verfallen.
Und hier setzt der Spielzeugfreie Kindergarten an: Wenn Kinder vollkommen ohne Spielzeug auskommen müssen, treten andere Dinge in den Vordergrund, wie zum Beispiel miteinander reden, sich erklären, Kompromisse schließen und gemeinschaftlich zu spielen. "Lebenskompetenzen" werden gezielt gefordert und gefördert.
Einige wenige Kindergärten verschreiben sich dem Konzept vollständig, doch angelegt ist die spielzeugfreie Phase ursprünglich auf einen beschränkten Zeitraum von drei Monaten. So ist das Projekt in jedem Kindergarten möglich, unabhängig von der sonstigen Ausrichtung. Dennoch gibt es Überschneidungen mit dem Konzept des Montessori-Kindergarten, Freinet oder dem des Waldkindergarten, die sich ebenfalls nach den Bedürfnissen, Impulsen und der Fantasie von Kindern richten.
Die Idee des Spielzeugfreien Kindergarten
Mindestens einmal im Jahr wird das gesamte Spielzeug, auch Materialien wie Stifte und Papier, aus dem Kindergarten entfernt. Basis des Spiels ist nicht mehr ein „Fertigprodukt“, wie ein Plüschtier, ein Gemeinschaftsspiel oder Bauklötze, sondern die Gruppe an sich. Es wird ein Raum geschaffen, in dem die kindliche Fantasie voll zum Tragen kommen darf. Es hat sich gezeigt, dass Kinder nach anfänglicher Langeweile sehr erfinderisch werden, was ihre Beschäftigung angeht. Weil die Kinder mehr miteinander reden, fördert das vor allem bei kleinen Kindern die Sprachentwicklung. Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, machen in der spielzeugfreien Phase große Fortschritte beim Deutschlernen.
Ohne Spielsachen ist es unmöglich, sich hinter einem Spielzeug zu verstecken, wie das viele sehr schüchterne Kinder tun. Durch die Förderung der Gruppendynamik gelingt es in der Projektphase auch vielen zurückhaltenden Kindern, sich ins Spiel einzubringen und dadurch mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Spielsachen als Konsumgut
Mit den Jahren ist neben dem Ziel, Menschen von Kindesbeinen an stark gegen Suchterkrankungen zu machen, ein weiterer Punkt wichtig geworden: Das Konsumverhalten der modernen Gesellschaft. Das Bedürfnis viele Dinge zu kaufen und zu besitzen fängt schon bei den Kleinsten an, die im Supermarkt unbedingt die neue Eiskönigin-Puppe oder den Avengers-Fußball haben wollen, obwohl bereits vier Fußbälle im Spielzeugschuppen liegen. Spielzeug ist das beliebteste Konsumgut für Kinder. Durch das Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ lernen die Kinder auch ohne Spielzeug auszukommen.
Spielzeug ist in den meisten Kinderzimmern im Überfluss vorhanden. Das Projekt richtet sich aber nicht gegen Spielzeug an sich, sondern ist für einen Spielraum, in dem der kindlichen Fantasie und Kreativität freien Lauf gelassen wird. Außerdem wird ein Bewusstsein für das Spielzeug – also das Konsumgut des Kindes – geschaffen: Es hat sich gezeigt, dass sich Kinder sehr auf die Spielzeuge freuen, wenn die spielzeugfreie Phase vorüber ist. Sie überlegen sich ganz genau, mit was sie spielen möchten. Kinder beschäftigen sich nach dem Projekt deutlich bewusster mit ihrem Spielzeug und greifen nicht gleich nach fünf Minuten gelangweilt zum nächsten. Dies ist direkt übertragbar auf das Konsumverhalten Erwachsener, denn wer alles im Überfluss hat, kann das Einzelne nicht mehr schätzen. Eine wichtige Lebenskompetenz wird im spielzeugfreien Kindergarten erlernt und trainiert.
Die Langeweile füllen
Ohne Spielzeug zu spielen ist eine Herausforderung, nicht nur für die Kinder. Auch die Erzieher sind auf eine besondere Art und Weise gefordert, während sie die Kinder bei dem Projekt begleiten. Ziel ist es, dass die Erzieher nicht sofort für Unterhaltung sorgen oder Ideen liefern, sondern soweit es geht als interessierte Beobachter auftreten. Anfangs wissen die Kinder oft nicht, womit sie nun spielen sollen. Doch auch das gehört zum Konzept dazu, mit einer unbefriedigenden Situation klarzukommen und Handlungsalternativen zu finden – auch ein wichtiger Aspekt im Zuge der Suchtprävention. Kinder lernen so so ihr eigenes Potenzial kennen und entwickeln es weiter.
Die Rolle der Eltern im Spielzeugfreien Kindergarten
Die Einbeziehung der Eltern während der Spielzeugfreien Phase ist sehr wichtig für das Gelingen des Projekts. Zwar bleibt es den Familien überlassen, ob sie auch daheim auf Spielzeuge verzichten wollen oder nicht. Jedoch lebt das Projekt von der Mitwirkung der Eltern, da sie ihrem Kind auch bei hartnäckigen Betteln keine Spielzeuge in den Kindergarten mitgeben sollen. Elterngespräche und Informationsabende bereiten die Familien entsprechend darauf vor.
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