Sie weinen laut, wenn das Etikett auf der Haut kratzt, wehren sich vehement gegen das Händewaschen oder ekeln sich vor Sand. Wenn Kinder auf scheinbar harmlose Berührungen extrem reagieren, könnte eine taktile Wahrnehmungsstörung dahinterstecken. Wie du deinem Kind mit gezielten Maßnahmen helfen kannst.
Taktile Wahrnehmungsstörung: Symptome erkennen
Kinder mit einer taktilen Wahrnehmungsstörung empfinden Berührungen und Reize viel extremer als andere. Sollte dein Kind folgendes Verhalten vermehrt zeigen, ist es wichtig, seine heftige Reaktion nicht als Wutanfall zu werten, sondern Verständnis zu zeigen.
Die taktile Hypersensibilität bei Kindern äußert sich so:
- Extreme Ablehnung bestimmter Stoffe oder Kleidungsstücke am Körper
- Unwohlsein oder Angst bei Körperkontakt (z. B. bei Umarmungen)
- Überreaktion auf Nässe oder bestimmte Texturen (z. B. Sand, Kleber, Matsch)
- Schwierigkeiten mit Haare kämmen, Nägelschneiden oder Zähneputzen
- Völlige Vermeidung von oder ständige Suche nach Berührungsreizen
- Heftige Reaktion bereits auf kleine Verletzungen (z. B. ein Mini-Kratzer fühlt sich an wie eine tiefe Wunde)
Taktile Wahrnehmungsstörung: Beispiele aus dem Alltag
In Alltagssituationen zeigen Kinder mit taktiler Wahrnehmungsstörung sehr oft Vermeidungsverhalten: Sie weigern sich z. B., Sand oder Matsch anzufassen, während andere Kinder voller Begeisterung damit spielen. Haarebürsten oder der Besuch bei der Friseurin kann in heftigen Protesten oder kompletter Verweigerung enden. Und manche Kinder haben eine ausgeprägte Abneigung gegen Krabbeltiere auf der Hand.
Auch beim Essen kann sich Hypersensibilität bemerkbar machen: Bestimmte Lebensmittel mit ungeliebter Konsistenz (oft: Brei, Suppe, Sahne oder Schaum) werden eher abgelehnt oder rufen extremen Ekel hervor.
Einige Kinder lassen sich ungern umarmen oder auf den Schoß nehmen. Für Eltern und Bezugspersonen ist das oft emotional schwierig, schließlich wollen wir unsere Kids am liebsten ständig knuddeln. Dennoch ist es wichtig, ihre Empfindungen ernst zu nehmen und ihre Wünsche und Grenzen stets zu respektieren.
Taktile Wahrnehmungsstörung & Kleidung: Wenn alles kratzt und zwickt
Viele betroffene Kinder haben große Probleme mit dem Thema Kleidung. Als besonders störend, bzw. unerträglich, empfinden sie oftmals:
- Kratzige Etiketten
- Enge Bündchen
- Stoffe wie Wolle, Denim oder Polyester
- Störende Nähte (oder wie mein Sohn sie nennt "Fissel") in Socken oder Unterwäsche
- Das Gefühl von nasser oder schmutziger Kleidung auf der Haut
Alltags-Tipp für Eltern
Verschiedene Textilien ausprobieren
Sorry, aber hier hilft nichts anderes als Ausprobieren, welche Materialien dein Kind toleriert. Meistens ist man mit weicher Baumwolle gut beraten, ich entferne außerdem störende Etiketten aus allen Kleidungsstücken und wir sind erst in der Grundschule von Jogging auf Jeans umgestiegen.
Beziehe dein Kind in den Auswahl- und Kaufprozess seiner Kleidung mit ein, falls es schon mitentscheiden kann. Das kann euch im Alltag viel Frust ersparen.
Für viele Kinder sind nahtlose Socken oder Unterwäsche gut erträglich, und lockere Schnitte angenehmer als enge. Anderen Kids wiederum helfen ganz enge Shirts oder leichte Kompressionskleidung, um das Hautgefühl zu regulieren. Das ist sehr individuell.
Was tun bei taktiler Überempfindlichkeit?
Reagiert dein Kind stark auf taktile Reize, ist es zuallererst einmal wichtig, ihm das Gefühl zu geben, dass das okay ist! Diese Überempfindlichkeit ist nämlich kein "Machtspiel", sondern echtes Unwohlsein, für das eine Lösung hermuss.
5 Tipps, um deinem Kind akut zu helfen:
#1 Sanfte Gewöhnung: Führe dein Kind langsam und behutsam an verschiedene Reize heran, z. B. durch Spiele mit verschiedenen Materialien (Reiskörner, Bohnen, Rasierschaum, Knete) und respektiere dabei seine Grenzen.
#2 Druck statt Streicheln: Kurze Umarmungen oder sanfter Druck auf der Haut werden oft besser toleriert als sanfte Streicheleinheiten. Probiert doch vorsichtig ein Massage-Spiel, bei dem ihr herausfindet, was deinem Kind angenehm ist, und was nicht.
#3 Alltagsroutinen anpassen: Beim Anziehen oder bei der Körperpflege ist es hilfreich, feste Routinen zu etablieren, damit das Kind sich immer sicher fühlt.
#4 Hilfsmittel verwenden: Eine Gewichtsdecke kann beruhigend und stressreduzierend wirken. Wichtig: Nicht für Kinder unter 3 Jahren geeignet und das Gewicht der Decke sollte bei Kindern nicht mehr als 3 kg betragen!
#5 Therapie: In einer Ergotherapie kann deinem Kind lernen, seine Wahrnehmung besser zu regulieren.
Therapie und Behandlungsmöglichkeiten
In der Ergotherapie wird die Sinnesverarbeitung mit spielerischen Übungen gezielt trainiert und dadurch verbessert. Laut Expert*innen hat sich besonders die sogenannte "Sensorische Integrationstherapie" (Si-Therapie) dazu bewährt, Kindern ein positiveres Körpergefühl zu vermitteln. Dabei werden dem Kind z. B. Tastspiele mit Wasser, Knete oder Malen mit Schaum angeboten.
Viele Ergotherapeut*innen vor Ort bieten außerdem Beratungen für Eltern von betroffenen Kindern an, in ihr unter Anleitung lernt, wie ihr sie im Alltag noch besser unterstützen könnt. In der Regel werden die Kosten von der Krankenversicherung übernommen. Wie genau eine Ergotherapie abläuft, lest ihr hier.
Ursachen für taktile Wahrnehmungsstörungen bei Kindern
Die Ursachen für taktile Wahrnehmungsstörungen sind nicht immer eindeutig: Sie können sowohl durch Besonderheiten im Nervensystem beeinflusst werden oder auf genetische oder neurologische Faktoren zurückzuführen sein. Frühkindliche Erfahrungen oder psychische Traumata könnten ebenfalls einen Einfluss auf die Wahrnehmungsverarbeitung haben.
Wichtiger ist es, sich auf die gezielte Unterstützung des Kindes zu konzentrieren, anstatt sich zu sehr mit der Suche nach den Ursachen aufzuhalten. Entscheidend ist, dass dein Kind jetzt die Hilfe bekommt, die es braucht, um besser mit seinen Sinneseindrücken klarzukommen und nicht unter der Überreaktion zu leiden.
Sensorische Überempfindlichkeit: Zusammenhang mit ADHS oder Autismus
Es ist gut zu wissen, dass taktile Wahrnehmungsstörungen gemeinsam mit anderen Diagnosen auftreten können: Kinder mit ADHS oder ADS haben z. B. ebenfalls oft Schwierigkeiten mit ihrer Sinnesverarbeitung und können empfindlich auf Berührungen reagieren.
Auch Kinder im Autismus-Spektrum zeigen häufig eine ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber Berührungsreizen. Die taktile Hypersensibilität kann allerdings auch isoliert vorkommen.
Für Eltern ist es wichtig, Verständnis zu zeigen, das Verhalten deines Kindes ernst zu nehmen und ihm eine Umgebung zu schaffen, in der es sich immer wohl und akzeptiert fühlen kann. Durch gezielte Maßnahmen kann dein Kind lernen, in Zukunft besser mit seinen Sinneseindrücken umzugehen.
Quellen: MedLexi, neuro-wiesbaden.de