Gewaltfreie Erziehung ist kein Trend, sondern in Deutschland sogar gesetzlich vorgeschrieben. Unsere Kinder haben ein Recht darauf, ohne Gewalt gegen sie aufzuwachsen. Aber was bedeutet das genau – und welche Erziehungsstile, Strategien und Angebote gibt es für uns Eltern, sanfte Erziehungsmethoden umzusetzen?
- 1.Was bedeutet gewaltfreie Erziehung?
- 1.1.4 zentrale Schritte, um Kinder gewaltfrei zu behandeln
- 2.Welche Arten der gewaltfreien Erziehung gibt es?
- 3.Woher kommt die gewaltfreie Erziehung in Deutschland?
- 4.Ist gewaltfreie Erziehung Gesetz?
- 5.In welchen Ländern steht die gewaltfreie Erziehung im Gesetz?
- 6.Wo finde ich Ressourcen und Anlaufstellen für gewaltfreie Erziehung?
Was bedeutet gewaltfreie Erziehung?
Gewaltfreie Erziehung bedeutet, im Umgang mit Kindern alle Formen körperlicher und seelischer Gewalt zu unterlassen und abzuwenden. Es geht also nicht nur um körperliche Misshandlungen, sondern auch verbale und mentale Gewalt, die der körperlichen gleichzusetzen ist. Auch für uns Erwachsene ist es nicht immer leicht, erlernte Verhaltensweisen als solche zu erkennen. Ein wichtiger Schritt ist es, folgende Formen psychischer Gewalt zu vermeiden:
- Schimpfen
- Beschimpfen
- (Emotionale) Erpressung
- Drohung
- Demütigung
- Passive Aggression
- Vorenthaltung (von Gefühlen, Informationen)
- Trivialisieren von Gefühlen, Erfahrungen oder der Person selbst
Statt unser Kind dazu zu bringen, zu gehorchen, sehen wir es als eigenständige Person mit eigenen Rechten sowie individueller Perspektive und Lebenserfahrung.
Denn während physische Verletzungen schnell sichtbar sind, können Verhalten und Worte genauso tiefe Wunden hinterlassen und sind mit schweren körperlichen und psychischen Langzeitfolgen verbunden.
4 zentrale Schritte, um Kinder gewaltfrei zu behandeln
Um ohne Gewalt mit Kindern umzugehen, braucht es neben unserer Bereitschaft auch einen guten Lösungsansatz, um nachhaltig und besonders in Konfliktsituationen friedliche Wege zu suchen. Diese 4 Schritte helfen:
- Perspektivwechsel: Statt unser Kind dazu zu bringen, zu gehorchen, sehen wir es als eigenständige Person mit eigenen Rechten sowie individueller Perspektive und Lebenserfahrung.
- Selbstreflexion: Gewalt entsteht oft unbewusst durch erlerntes oder unbedachtes Verhalten. Daher ist es wichtig, eigene Werte, Handlungen und Erfahrungen zu hinterfragen und Problem-Situationen als Anstoß zu nutzen, daraus zu lernen.
- Strategien: Sind gute Werkzeuge und helfen, Verhaltensmuster zu durchbrechen. Dazu gehören z. B. eine gefestigte Eltern-Kind-Beziehung, neue Routinen und Familienregeln, Wut-Management, Achtsamkeitsübungen oder Sätze und Mantras, die wir situationsbedingt abrufen und nutzen können.
- Unterstützung: Überlastung, Zeitknappheit und fehlende Informationen haben einen großen Einfluss auf unsere Erziehungsmöglichkeiten. Genau wie erlernte Muster. Ein Fokus auf unser soziales Netzwerk gepaart mit niederschwellig erreichbaren Anlaufstellen und ggf. psychologischer und/ oder medizinischer Hilfe kann bei der Umsetzung enorm helfen.
Welche Arten der gewaltfreien Erziehung gibt es?
Egal, wie wir als Eltern ticken: Gewaltfreie Erziehung geht immer: In allen acht großen Erziehungsformen sowie den gängigen Erziehungstrends ist es möglich, unsere Kinder gewaltfrei zu erziehen.
Dafür entscheidend ist die respektvolle Perspektive der Eltern sowie die Anwendung von sogenannten "sanften" Erziehungsmethoden, statt (auch unbewusst oder im Affekt) auf seelische und körperlicher Gewalt auszuweichen. In den meisten Fällen setzt das einen Prozess aus Selbstreflexion und (ggf. professionell begleitete) Arbeit an uns selbst heraus, die sich für alle Familienmitglieder auszahlt.
Aus dem Ansatz, gewaltfreie Erziehungsmethoden umzusetzen, ist die sogenannte "sanfte Erziehung" entstanden, auch Gentle Parenting genannt. Im Video erklären wir kurz, worauf es ankommt:
Der zentrale Punkt beim Gentle Parenting ist eine respektvolle Eltern-Kind-Beziehung, die die Rechte und Bedürfnisse von Kindern ernst nimmt. Auch folgende Erziehungsstile gehören dazu und liefern gute Ressourcen für alltägliche gewaltfreie Kommunikation mit unseren Kids, sowie respektvolle Erziehungsstrategien:
Woher kommt die gewaltfreie Erziehung in Deutschland?
Die Zeiten, in denen körperliche Gewalt gegen Kinder in Deutschland zur gesellschaftlichen Norm gehörte, sind zum Glück vorbei. Und auch seelische Gewalt rückt immer mehr in den Fokus. Seit dem Jahr 2000 ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung ein fester Teil des Grundgesetzes. Damit hat die Bundesregierung den Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention umgesetzt, der besagt:
Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung Oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut.
Ist gewaltfreie Erziehung Gesetz?
Im November 2000 wurde das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Grundgesetz, also der deutschen Verfassung, verankert:
"Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig."
Gefolgt wurde der Abschnitt im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) von der großflächigen Kampagne "Mehr Respekt vor Kindern", die Aufklärungsarbeit leistete und Ressourcen für Eltern, Kinder und Pädagog*innen bereitstellte.
In welchen Ländern steht die gewaltfreie Erziehung im Gesetz?
Deutschland ist seit 2000 eins von neun europäischen Ländern, in denen eine gewaltfreie Erziehung gesetzlich vorgeschrieben ist:
- Schweden (seit 1979)
- Norwegen (seit 1987)
- Finnland (seit 1993)
- Zypern (seit 1994)
- Dänemark (seit 1997)
- Litauen (seit 1998)
- Österreich (seit 1998)
- Kroatien (seit 1999)
In Australien gilt seit 1975 der Family Law Act, in den USA seit ebenfalls 1974 der Child Abuse Prevention and Treatment Act (CAPTA), der 2010 erneuert wurde.
Neben der gesetzlichen Verankerung zählt vor allem aber auch die aktive Aufklärungsarbeit der Regierungen und die Unterstützung wohltätiger Organisationen darüber, wie sich Gewalt genau definiert und welche Alternativen es gibt.
Je höher die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt gegen Kinder und die kulturelle Verankerung, desto langwieriger kann auch der Prozess der Umsetzung einer Gesetzesänderung sein. Die Schweiz ist ein Beispiel, bei dem sich das schwierig gestaltet hat.
Wo finde ich Ressourcen und Anlaufstellen für gewaltfreie Erziehung?
BMFSFJ: Beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend findet ihr im Aktionsleitfaden gute Informationen zu Initiativen und Projekten, die gewaltfreie Erziehung unterstützen.
Soziale Anlaufstellen: Euer lokales Jugendamt und Familienzentrum bietet Hilfe und Kurse für Kinder an. Bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter könnt ihr schnell nach eurer lokalen Kontaktstelle suchen. Alle Familienzentren findet ihr über eure Stadtverwaltung.
Familienberatung: pro familia liefert euch anonym und kostenlos Beratung online oder vor Ort.
Die Nummer gegen Kummer berät kostenlos und anonym im Elterntelefon unter 0800 111 0 550.
Seid ihr als Kinder betroffen, könnt ihr euch ans Kinder- und Jugendtelefon unter 116 111 oder per Mail und Chat melden. Eine Liste aller verfügbaren Familienberatungsstellen findet ihr hier bei uns.
Ratgeber: Bei uns auf familie.de findet ihr jede Menge konkrete Tipps für den Alltag, um gewaltfreie Erziehung umzusetzen. Wie ihr in bestimmten Situationen reagieren könnt, lest ihr unter:
- Sätze, die bei Wutanfällen helfen (und welche nicht)
- Logische Konsequenzen statt Strafen einsetzen
- Strategien fürs Schlafengehen und tolle Sätze und Mantras nach einem schweren Tag
- Strategien, wie wir und unsere Kids geduldiger bleiben
- Wege, wie wir mit Mental Load umgehen
- Ideen, als Eltern zusammen Erziehungsfragen zu verhandeln
- Tipps, um Familienregeln aufzustellen
- Strategien und Sätze aus Montessori-Einrichtungen, die auch zu Hause helfen
- Perspektiv-Wechsel zum Kind: Zitate von Maria Montessori, Weisheiten von Emmi Pikler und Einsichten von Nora Imlau zu "gefühlsstarken Kindern"
- Tipps für Eltern von Kindern mit ADHS, Autismus und Asperger Syndrom
Hinweis: Wenn ihr oder euer Kind gefährdet ist und ihr nicht weiter wisst, steht euch das Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe zur Verfügung. Ihr erreicht es unter 0800 / 33 44 533. In Notfällen, z. B. bei drängenden und konkreten Suizidgedanken zögert nicht, euch an die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112.
Quellen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Deutsches Kinderhilfswerk, Federal Circuit and Family Court of Australia, Systemische Praxis Hanau