In der neuen Disney+ Dokuserie "Farm Rebellion" geht es in erster Linie um Landwirtschaft und die Frage, was getan werden kann, um den Klimawandel zu verlangsamen. Aber weil alles immer mit allem zusammenhängt, habe ich im Interview mit Dr. Auma Obama nicht nur über Landwirtschaft, Regen und die Kraft der Natur gesprochen, sondern auch darüber, wir wir unsere Kinder großziehen sollten.
Dr. Auma Obama ist Soziologin, Germanistin und Autorin. Sie ist in Kenia geboren und aufgewachsen, studierte in Deutschland und arbeitete im Anschluss an ihre Promotion und Doktorarbeit als freue Journalistin und Beraterin für politische Erwachsenenbildung. 2007 kehrte sie nach Kenia zurück um für die humanitäre Organisation CARE International zu arbeiten. 2010 gründete Dr. Auma Obama die Sauti Kuu Foundation, deren Geschäftsführerin sie ist. ZIel der Stiftung ist es, finanziell und sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen im ländlichen Kenia eine Stimme zu geben.
familie.de: In “Farm Rebellion” heißt es: Nature can do it on ist own”, die Natur kriegt das alles schon allein hin. Aber warum lassen wir die Natur nicht einfach machen?
Dr. Auma Obama: Weil wir Menschen sind. Weil wir immer beweisen müssen, dass wir es besser, schneller, höher, größer machen können. Wir haben ein Gehirn. Und leider gibt es keine Regulierung unseres Gehirns. Wir können so viel, sind zu so viel fähig. Wir erobern ständig und vergessen, dass wir vieles dabei kaputtmachen. Wir machen uns Sorgen und denken, es wird nicht klappen, wenn wir nicht eine Hand daran haben, aber das muss nicht sein.
Ich erinnere mich daran, dass meine Oma mich als Kind manchmal rausgeschickt hat, in die Wildnis sozusagen, um Blätter zu pflücken, das Gemüse war. Wir konnten uns direkt von der Natur ernähren. Inzwischen müssen wir das [damals wild wachsende] Gemüse züchten. Wir mischen uns ständig ein in die Natur. Aber manchmal muss man mitlaufen und nicht unbedingt was ändern. Wir müssen die Augen aufmachen und sehen, was uns die Natur alles bietet.
Wir sind auch gern bequem
Das stimmt. Aber ich habe oft das Gefühl, dass manche Menschen das nur dann machen wollen, wenn es für sie nicht unbequem wird?
Ja, wir sind auch sehr bequem. Das meine ich, wenn ich sage, wir haben ein Gehirn. Wir haben so viel geschafft. Am Anfang haben wir mit der Natur gelebt. Dann haben wir bemerkt: Oh, wir können viel mehr als das, wir können vieles ändern, vieles steuern und beeinflussen. Das haben wir dann gemacht, bis zu der Zeit der Industrialisierung. Dann haben wir bemerkt: Jetzt können wir nicht mehr nur alles steuern, jetzt können wir bestimmen. Es ging immer darum, dass es für uns bequemer wird, dass wir z.B. im Winter nicht mehr frieren, dass wir uns im Sommer abkühlen können und und und. Es ging immer nur um uns, wir haben uns die Natur erobert und dabei vergessen, dass wir ein Teil von ihr sind.
Wir haben dabei vergessen, dass es eine Regelung gibt. Wir sind gleichzeitig auch Tiere, wir sind ein Teil von unserer Flora und Fauna. Da hätte man ein bisschen Rücksicht nehmen sollen. Diese Zeit der Rücksicht gab es ja. Ich bin immer stolz zu sagen, dass auf dem afrikanischen Kontinent, dass wir Afrikaner eine lange Zeit mit der Natur im Einklang gelebt haben. Ich sage immer: Tausende Jahre gibt es uns, tausende Jahre lebten wir mit der Natur im Einklang. Das Wasser war gesund und sauber, die Luft war rein, die Erde war gesund.
Dann kam diese zweite Industrialisierung, die Kolonialisierung, wo man wirklich alles steuern wollte. Es kam die Chemie dazu. Wir Menschen haben als Konkurrenz zu dem, was die Natur uns gibt, andere Mittel eingeholt. Diese Mittel haben auf die Schnelle vieles für uns gemacht, aber langfristig haben wir vieles, auch uns selbst, kaputt gemacht. Inzwischen gibt es so viele Beispiele davon, wie wir nicht mehr überleben könnten ohne diesen Komfort, ohne diese Sachen. Aber eigentlich müssten wir das können, weil wir ja auch ein Teil der Natur sind.
Wir müssen mit der Natur arbeiten
Im Gespräch mit Benedikt Bösel ging es u.a. auch um Tod und Geburt und darum, dass das einer der wenigen Momente ist, wo wir noch natürlich agieren.
Ich glaube, auch die Geburt ist nicht mehr natürlich. Früher hat man gehockt, um Kinder zu kriegen, inzwischen zwingen sie uns, auf dem Rücken zu liegen. Es ist viel, viel gefährlicher und viel schwieriger, das Kind auf die Welt zu bringen, wenn wir das so machen. Wir haben wirklich alles übernommen, wir lassen die Natur nicht mehr machen. Wir denken sogar, dass wir es besser machen.
Denken wir mal an den Konflikt zwischen homöopathischer und Schulmedizin. Die einen sagen: Wir müssen mit der Natur arbeiten, die anderen sagen: Die Natur ist nicht genug. Wir müssen überlegen: Wie machen wir das?
Du musst dein Kind erziehen
Aber Kinder agieren meiner Meinung nach, wenn man sie machen lässt, noch sehr natürlich. Sie haben, so empfinde ich das, einen anderen Instinkt als wir Erwachsene.
Kinder und Jugendliche können es oft nicht besser machen, denn sie machen uns alles nach. Heute essen Kinder häufig kein Gemüse mehr. Für mich ist das undenkbar. Gemüse ist Essen. Bei uns gab es diesen Gedanken: Ich möchte kein Gemüse essen, nur Nudeln oder Chips, nicht. Das ist kein bewusstes Essen. Bei mir war es so: Das, was auf den Tisch kommt, was gesund ist, das wird gegessen. Da gab es auch kein Gespräch drüber.
Wir erziehen die Kinder inzwischen aber dazu, einen Anspruch zu haben und einen Komfort zu genießen, der nicht gut für sie ist. Es wirkt gegen das, was gut für uns ist. Man hat dann natürlich diese ganzen Diskussionen nicht mehr. Der Komfort geht so weit, dass die Eltern müde sind, dass man sein Kind einfach machen lässt, weil es einem selbst zu viel ist. Das Kind wird in die Schule oder Kita geschickt und da sollen sich andere drum kümmern. Aber das geht so nicht.
Dein Kind ist wie eine Pflanze. Du musst dieses Kind erziehen, du musst es gießen mit richtiger Nahrung und richtigen Informationen, damit es gedeiht und gesund wächst. Das ist deine Aufgabe und sehr häufig geben wir die ab.
Lernen, das Anderssein zu akzeptieren
Aber das ist schwer, wenn man das selbst als Familie anders macht. Man kommt sich dann so komisch vor, fast wie ein Außenseiter. Ich merke das in meinem Umfeld auch. Meine Kinder sind viel mit uns in der Natur, beschäftigen sich miteinander, ohne Smartphone oder Medien. Und es fühlt sich manchmal komisch an, wenn sie bei manchen Dingen gar nicht mitreden können.
Die Kinder müssen lernen, das wertzuschätzen. Wenn sie verstehen, warum sie so leben, wie viel sie davon haben, was für eine Bereicherung das ist für ihre Kreativität, dass sie lernen nachzudenken, proaktiv zu sein, aus der Box rauszukommen und eigenständig denken und agieren, was erreichen, dann lernen sie auch, das Anderssein zu akzeptieren und zu verteidigen. Das ist das, was ich bei meiner Stiftung versuche, dass die Kinder lernen, im Einklang mit der Natur zu leben, und nicht immer nur zu konsumieren und mehr zu wollen. Wenn man lernt, das ist die Normalität, dann ist man eh erstaunt, wenn die anderen das nicht so machen.
Das ist genauso, wie wenn Leute mich, wegen meiner Hautfarbe, komisch anschauen. Ich bin schwarz. Für mich ist das normal, ich denk da nicht mal drüber nach. Und genau so sollte das sein mit all diesen Sachen, die aus uns Menschen machen, wo die Menschlichkeit eine Rolle spielt. Daran müssen wir arbeiten, aber wir gehen weiter und weiter davon weg. Jetzt gehen wir zu AI, Artificial Intelligence, und das ist eine andere Stufe, da muss man sagen: Leute, passt auf. Es werden so viele Menschen zurückgelassen, die es nicht verstehen.
Wir kommen mit unserer Umwelt (manchmal) nicht klar
Der Mensch kommt nicht mehr so klar mit seiner Umgebung, seiner Umwelt, weil wir so vieles nicht mehr verstehen. Es ist so komplex geworden. Das Einzige, was man hat, ist dieses Gefühl von: Irgendwas stimmt nicht. Da kommen dann Depressionen, da kommt unglücklich sein, unruhig sein, alles, was man unter ADD, OCD und all diese Abkürzungen und Buchstaben, die wir dafür haben, zusammenfasst. Das sind Sachen, die zeigen: Ich komme mit meiner Umwelt nicht klar. Wie sollen die Menschen das anders ausdrücken, wie soll der Körper das ausdrücken?
Es gibt teilweise keine Worte dafür, weil diese verpönt sind, weil wir ausgelacht und ausgestoßen werden. Man kann nicht in Worte fassen, was man fühlt, und darauf reagieren andere. Wir Menschen sind letztlich Tiere. Es gibt nur Fight or Flight. [Angriff oder Flucht] Und beides funktioniert häufig nicht. Man kann nicht wegrennen, aber auch nicht kämpfen.
Wir müssen nicht perfekt sein
Niemand möchte in so einer Situation sein. Aber manchmal finden wir uns darin wieder, haben keine Worte dafür und können dann auch nicht offen darüber sprechen, weil wir das Gefühl haben, ganz allein damit zu sein. Das ist total schwer.
Es ist schwer. Aber es ist wichtig zu wissen, dass es doch geht - auch in einer Kultur, wo alles auf Perfektionismus ausgelegt wird. Eine Haltung, die besonders durch Instagram und die anderen Social Media Plattformen stark gefördert wird. Wer nicht perfekt ist, kommt sich vor, als wäre irgendwas nicht in Ordnung mit ihm. Dagegen versuche ich in der Arbeit bei uns [Dr. Auma Obama hat die Auma Obama Foundation - Sauti Kuu gegründet, Anm. d. Redaktion] ein bisschen anzugehen. Diese Schnelligkeit des Westlichen auszubremsen.
Wenn man zum Beispiel eine Behinderung hat, dann wird man anders behandelt. Bei uns war das früher nicht so. Das war bei uns so krass, dass auch der, der behindert war, dem Bus genauso hinterherrennen musste, wie jeder andere auch. Man hat auch in der Familie geschaut, dass er eine Frau fand und geheiratet hat. Der Mensch wurde nicht bestimmt durch diese Behinderung, man hat sie einfach angenommen. So ist er geboren, so ist er, das ist natürlich, das ist normal.
Aber inzwischen ist die Normalität im Westen so klinisch definiert, dass jeder denkt, er muss perfekt sein. Das ist aber nicht der Fall. Diese Uniformität finde ich wirklich furchtbar. Deswegen essen sehr viele von uns ‚Junkfood‘ oder bearbeitetes Essen, und weniger gesund, und wir finden das OK. Wir hinterfragen das nicht, weil wir nicht aus der Reihe tanzen, nicht unbequem sein wollen. Das ist messy, unordentlich. Aber der Mensch ist nicht perfekt. Unordnung gehört zum Menschsein.
Der Regen hat in der Stadt nichts mehr zu suchen
An einer Stelle in “Farm Rebellion” sagen Sie, überall wo Sie hinkommen, bringen Sie den Regen mit. Meine erste Reaktion als Großstädterin war: Oh nein, wie schrecklich, wer will das denn? Weil wir in der Großstadt den Regen eher als etwas Schlechtes empfinden. Aber natürlich ist er für die Landwirtschaft extrem wichtig, jede*r freut sich, wenn Regen kommt und der Boden den aufnehmen kann. Ich habe dann darüber nachgedacht, wie weit ich mich selbst schon von der Natur entkoppelt habe, dass ich Regen als etwas Lästiges ansehe.
Das ist ja auch interessant, weil man sagt, wenn es in der Stadt regnet, will man das nicht haben. Das Problem ist, dass wir es wirklich so weit gebracht haben, dass der Regen in der Stadt nichts zu suchen hat. Auf dem Land freut man sich, es sickert in den Boden, aber in der Stadt sickert kein Regen, kein Wasser in den Boden. Alles ist zubetoniert und zugepflastert. Das Wasser kann nicht in den Boden sickern.
Es ist ein sehr kraftvolles Element und sucht einen Weg irgendwo hinzukommen. Aber durch die zugepflasterten Städte führt der Weg meist nur in die Flüsse. Überflutungen entstehen in einwohnerstarken Regionen, wie zum Beispiel im Ahrtal. Ich habe Freunde in Frankreich. Die leben in einem kleinen Dorf. Dort sieht alles wunderschön und idyllisch aus, aber wenn es regnet, läuft alles voll mit Wasser auf den Straßen. Alles ist überschwemmt, weil das ganze Dorf zugepflastert ist. Das Regenwasser findet gar keinen Weg in den Boden einzusickern.
Dann wundern wir uns als Menschen darüber was alles Schlimmes an Naturkatastrophen auf der Welt passiert. Das sind aber keine Naturkatastrophen. Es sind von Menschen verursachte Katastrophen! Das ist was ich meine, wenn ich sage, dass die Menschen nicht im Einklang mit der Natur leben. Die Menschen arbeiten trotz und häufig gegen die Natur.
Was wir aber nicht verstehen, ist, dass wir die Natur nicht bändigen können. Die Natur schaut geduldig zu und sagt: Mich gibt es so oder so, in welcher Form auch immer. Es ist wie mit dem Planeten, den gibt es so oder so, ob der Mensch sauberes Wasser, gesunde Böden oder frische Luft haben. Wir Menschen müssen auf dem Planeten überleben. Ohne gesunde Flora und Fauna, ohne die Natur können wir das nicht.
"Farm Rebellion" auf Disney+
Die Dreharbeiten zu „Farm Rebellion“ erstreckten sich über einen Zeitraum von einem Jahr und zeigen, wie sich die Protagonistinnen und Protagonisten der globalen Bewegung anschließen und mit ihren verschiedenen Persönlichkeiten und Ansätzen die Welt verändern wollen. Die Doku-Serie wurde in Deutschland, Großbritannien, Norwegen, Brasilien, Kenia und den USA gedreht.
Teil der Dokumentation sind neben dem Landwirt des Jahres 2022, Benedikt Bösel, unter anderem Dr. Auma Obama, Schwester des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, die norwegische Sterneköchin Heidi Bjerkan sowie José Gonzales aus Chile, der zusammen mit seiner Partnerin Lea Gerber eine Market Gardening Farm starten möchte. Das komplette Team folgt einer gemeinsamen Vision: eine neue, regenerative Art der Landwirtschaft zu erschaffen – als Blaupause für eine weltweite landwirtschaftliche Wende, die an die klimatischen Bedingungen der nächsten Jahrzehnte angepasst ist. Das Team sucht dabei rund um den Globus nach Ideen, die dazu beitragen, einen Wandel in der Landwirtschaft zu ermöglichen.