Die sechsteilige Disney+ Dokumentation "Farm Rebellion" rüttelt auf. Sie will über revolutionäre Farmkonzepte in der Landwirtschaft informieren, die im Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels hilfreich sein können. Klingt im ersten Moment vielleicht eher nach einem Special Interest Thema für alle, die sich für Landwirtschaft interessieren. Ist es aber nicht, denn unsere Natur geht uns alle an. Warum die Landwirtschaft ein Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel sein könnte, habe ich mit dem Landwirt des Jahres 2022 und Protagonisten der Dokureihe "Farm Rebellion", Benedikt Bösel, besprochen.
Benedikt Bösel im Interview
Benedikt, wie gehst du mit dem Widerspruch um, dass du nachhaltige Landwirtschaft betreiben möchtest, die andererseits aber skalierbar sein muss und dir Geld einbringt?
Das ist kein Widerspruch, ganz im Gegenteil. Der einzige Weg für eine lebenswerte Zukunft ist eine nachhaltige Landwirtschaft, die – angepasst an den jeweiligen Standort – weltweit umsetzbar ist und mit der Bauern und Bäuerinnen Geld verdienen. Wir hier in Madlitz versuchen unseren extremen Standort mit Sandboden und Trockenheit zu nutzen um unterschiedliche Methoden der regenerativen Landwirtschaft zu testen und wissenschaftlich zu begleiten. Unsere Idee ist es, konkreten Lösungen aufzubauen und so aufzubereiten, dass wir damit wirklich großflächig die Landwirtschaft verändern können.
Eines müssen wir uns bewußt machen: Die Landwirtschaft ist mit Abstand der größte Hebel, um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen in Bezug auf Klimaanpassung, Gesundheit, Chancengleichheit, Bildung und Biodiversität. Heute ist unser landwirtschaftliches System darauf ausgelegt, dass wir mehr externalisierte Kosten, also Biodiversitätsverlust, Bodenverlust etc. produzieren, als wir Erträge und Beiträge zum Bruttosozialprodukt überhaupt beifügen können. Wenn wir das nicht dramatisch verändern, gibt es irgendwann auch keine Zukunft mehr.
Die Landwirtschaft ist der Schlüssel
Also ist die Landwirtschaft ein Schlüssel für viele unserer Probleme?
Die Landwirtschaft ist der Schlüssel! Wenn wir verstehen welche Bedeutung die Landwirtschaft hat, dann könnten wir unsere Wirtschafts- unser Bildungs-, unser Finanzsystem darauf einstellen. Dann können wir Wirtschafts- aber auch Landnutzungssysteme entwickeln, die sich nicht der Ökologie und der Gesellschaft bedienen, sondern für die Gesellschaft und die Ökologie arbeiten.
Das ist das, was mich und uns antreibt und wo ich hoffe, dass wir unseren Beitrag leisten können. Aber wir müssen, zwangsläufig, immer skalieren, wir müssen diese Formen in die Landwirtschaft bringen. Das Problem ist, wir haben 50 Jahre genau in die andere Richtung geguckt. Da war alles auf Masse und günstig ausgerichtet. Alles war einfach, technologisiert, linearisiert, exploitativ [ausbeutend], horizontal. Es gab eine Monokultur und eine Ernte im Jahr.
Das, was wir versuchen, ist genau das umzukehren. Der Fokus ist die Natur, das Ökosystem, die Bodengesundheit. Wir fragen uns: Wie können wir Methoden entwickeln, die das wieder aufbauen? Wenn wir das schaffen, dann wird die Landschaft zum großen Schlüssel. Alles andere wird nichts bringen.
Neue Lösungen für alle
Du sagst, wir brauchen neue Lösungen. Ich stimme dir da natürlich zu, Nachhaltigkeit ist für mich ein riesiges Thema, auch in meinem privaten Alltag. Aber es gibt ja so viel Menschen, die sagen: Nein, es muss sich doch nichts ändern. Es ist doch gut, wenn das Essen günstig ist, wenn ich jederzeit alles bekommen kann. Du bist ja dann mit deiner Meinung eher ein Spielverderber. Wie kriegen wir das hin, dass alle Interesse an neuen Lösungen haben?
Das ist ein total wichtiges Thema, das du da ansprichst. Ich versuche nicht mit dem Finger auf Verursacher zu zeigen, ich möchte keine Schuldzuweisungen machen oder mich nur auf furchtbaren, negativen Horrorszenarien festfahren.
Was ich versuche, ist immer die Potenziale in den Vordergrund zu stellen. Die Schönheit des Ganzen, der Genuss und die Freude daran. Ich will nicht immer nur über Verzicht sprechen. Es geht ja auch nicht darum, dass Essen auf einmal teuer wird. Was wir wollen, ist, dass Lebensmittel aus guter Herstellung günstig werden und aus einer Herstellung mit negativen Kosten für Mensch und Umwelt teuerer.
Fokus auf Positives
Ich glaube, wenn man sich eher auf die positiven Dinge fokussiert und diese in den Vordergrund stellt, dann können die durchaus Mut und Hoffnung machen. Man kann in der Landwirtschaft wahnsinnig viel bewegen, viel mehr als viele andere Bereiche. Das ist ein Ort, um Hoffnung zu haben. Denn die Natur, die kann diese Dinge alle. Sie kann sich regenerieren, sie kann Kohlenstoff speichern. Sie kann die Wasserzyklen wieder in Gang setzen, sie kann Biodiversität aufbauen. Und die Produkte schmecken natürlich auch wahnsinnig geil, wenn sie aus einem guten, gesunden Boden kommen.
Ich bin also das Gegenteil von einem Spielverderber, ich versuche eher so eine Art Cheerleader zu sein. Ich möchte die Menschen davon überzeugen, wie geil und wie wichtig es ist, sich insbesondere jetzt um all das zu kümmern. Es geht ja auch gar nicht um uns. Das war mir bei der Serie auch immer wichtig. Es geht um die Landwirtschaft und um die Arbeit der Landwirte und Landwirtinnen. Die werden völlig zu Unrecht immer hingestellt, als die, die es verbockt haben. Die haben überhaupt nichts verbockt, die haben das gemacht, was sie machen sollten, was wir von denen wollten. Es sollte auf Masse gehen und günstig sein.
Heute wissen wir, dass wir neue Herausforderungen haben, und die schaffen wir nur, wenn alles mit einem wiederaufgebauten Respekt und Wertschätzung für die Arbeit der Landwirte und Landwirtinnen einhergeht. Das versuche ich eher in den Fokus zu bringen. Die Herausforderung der Zukunft werden unangenehm, das ist überhaupt keine Frage.
Sollten wir Angst haben?
In der Dokumentation wird an einer Stelle gesagt, dass die Vorstellung, unsere Supermärkten würden in 30 Jahren noch so aussehen wie jetzt, die sei falsch. Das kann einen schon beängstigen. Sollte uns das Angst machen?
Ja, na klar. Wir können nicht mit irgendeiner blauäugigen Naivität davon ausgehen, dass nur weil wir jetzt gute Geschichten erzählen und schöne Bilder zeigen, alles gut wird. Wir rennen mit vollem Galopp in die größte Scheiße, die man sich vorstellen kann, das ist einfach so.
Das ist so offensichtlich, es passiert ja schon überall. Wir sehen nur noch nicht, dass die einzelnen Bausteine dessen, was wir erkennen, ob das die Flut im Ahrtal ist oder Flüsse, die austrocknen, dass das alles zusammengehört. Es ist alles das gleiche, aber bis wir das verstehen, da wird noch viel Schlimmes passieren und das wird auch bedeuten, dass wir irgendwelche Identitätskrisen haben, irgendwelche Plagen haben, irgendwelche Dinge gar nicht mehr haben. Auch Früchte und gewisse Sachen, die im Supermarkt nicht mehr zur Verfügung stehen.
Unser Landnutzungssystem ist aktuell noch auf falschen Annahmen gebaut. Und zwar, dass der gesunde Boden und Biodiversität wertlose Produktionsfaktoren sind, die unendlich verfügbar sind, und das Wasser und Energie günstig sind. Stimmt alles nicht, das ist leider nicht der Fall.
"Das wird noch richtig wehtun"
Das heißt, das wird noch richtig wehtun, gar keine Frage. Aber das heißt trotzdem nicht, dass wir deswegen den Kopf in den Sand stecken müssen. Denn wir könnten, wenn wir wollten. Wir haben unglaubliche Möglichkeiten in der Wissenschaft, in der Technologie. Für was wird denn alles Geld ausgegeben? Wie viele hunderte Startups verbraten in der Woche fünf Millionen Euro? Die haben noch nie Umsätze generiert und es interessiert niemanden. Aber mal solche Gelder in wichtige Dinge zu stecken, um gesellschaftliche, ökologische, landwirtschaftliche Themen umzusetzen, das wäre ja alles möglich.
Wenn wir den Firmen, die wahnsinnig Geld verdienen, auflegen würden: Leute, ihr müsst Verantwortung übernehmen, das sind die Kriterien und das müsst ihr tun, das machen die sofort. Es ist ja nicht so, als könnten die das nicht. Aber die warten natürlich bis irgendwann eine Forderung kommt. Wir können alles machen, wir sind auch in der Lage, das zu tun, aber es muss halt vorher, glaube ich, noch mal richtig weh tun, damit dann ein Umdenken stattfindet. Das ist wie bei Corona, da haben plötzlich auch alle mitgemacht. Und das wird früher oder später auch kommen, es geht gar nicht anders. Bis zu dem Zeitpunkt versuchen wir an den Lösungen mitzuwirken.
Wieso wusste ich das nicht?
Ich muss sagen, dass ich beim Schauen von “Farm Rebellion” ganz viel Neues gelernt habe. Zufällig hatte eins meiner Kinder genau zu dem Zeitpunkt einige Fragen zum Thema Bäume und Pflanzen und ich habe mich gefreut, ihm dieses Wissen gleich weitergeben zu können. Aber ich dachte die ganze Zeit auch: Wieso wusste ich das alles nicht? Wieso wissen die meisten von uns zu wenig über Landwirtschaft, über Verdichtung und Pflanzenwachstum?
Genau das ist die Frage. Das ist wirklich genau das Thema. Es gab für mich einen Zeitpunkt, da habe ich zum allerersten Mal in meinem Leben gespürt: Du hast hier eine Aufgabe, es gibt so etwas wie eine Berufung. Ich habe auch zehn Jahre meines Lebens nach meinem Sinn gesucht, auch in der Finanzindustrie.
Als ich dann hierherkam [nach Alt Madlitz], dachte ich auch erst in eine ganz andere Richtung. Ich dachte erst, ich mache hier alles mit Technologie und alles cool und fancy. Aber dann habe ich gemerkt, das ist genau das Gegenteil von dem, was ich brauche. Bis ich dann diese Vordenkerinnen und Vordenker gefunden habe und wusste: Das ist es.
Einer der Gründe dafür war, dass kein Mensch vorher darüber geredet hat: Niemand kannte das. Als ich damals “Agroforst” gegoogelt habe, da habe ich keinen einzigen Treffer in Deutschland gehabt, zu all den Themen die jetzt wichtig sind. Wir haben 40, 50 Jahre einen anderen Fokus.
Wir haben heute neue Anforderungen
Der wissenschaftliche Fokus, der Bildungsfokus, der Technologiefokus, die Frage wie wir Zugang zu Land organisieren, die Frage, wie der Kapitalmarkt das finanziert, die Frage, wie Subventionen gestaltet sind, um das zusammen zu ermöglichen, das stand im Vordergrund. Und das ist auch alles ok und fair. Wir hatten Hungersnöte und Herausforderungen, die durch unsere technologischen Möglichkeiten immer irgendwie auch gelöst wurden.
Nur heute haben wir neue Anforderungen. Um für die Zukunft jetzt das Fundament zu bauen und das auch langfristig gut machen zu können, und zwar im Einklang mit ökologischen und gesellschaftlichen Anforderungen, müssen wir uns wieder der alten Weisheiten bedienen. Wir müssen verstehen wie Ökosysteme zusammenhängen, wie die Diversität und Asymmetrie von komplexen Landnutzungssystemen dich befähigt, ökonomisch sinnvoller zu arbeiten, weil du weniger gegen die Natur kämpfen musst.
Das ist teilweise auch indigenes Wissen. Wir wussten das alles mal. Aber durch die verschiedenen technologischen Möglichkeiten haben wir das immer weiter verdrängt, konnten es uns leisten, das zu verlernen. Und jetzt geht es darum, das wieder aufzubauen. Aber das was du sagst, das war genau mein Thema. Ich habe mich gefragt: Warum spricht nicht die ganze Welt davon? Das hier ist doch genau der Schlüssel.
Neue Kinderbücher über Landwirtschaft
Ich habe mich auch gefragt, brauchen wir nicht eigentlich auch neue Kinderbücher über Landwirtschaft? Es gibt einige, die in diese neue Richtung gehen, aber ich rege mich seit Jahren darüber auf, dass die Landwirtschaft in all diesen Kinderbüchern sehr idyllisch aber fern der Realität dargestellt wird.
Ja, klar, unbedingt. Ich finde grundsätzlich, dass wir unsere Kinder nicht wie Kleinkinder behandeln sollten und müssen. Ich wurde mal gefragt was meine größte Sorge ist, und da habe ich übers Wetter gesprochen. In Wirklichkeit gibt es noch eine Sorge, die ich vergessen habe, die aber eigentlich viel größer ist.
Diese Sorge ist der zunehmende Verlust der Beziehung von uns Menschen zur Natur. Denn wenn die Menschen die weiter verlieren, dann kannst du mit ihnen alles machen, weil sie alles glauben. Wir würden dann völlig die Zusammenhänge verlieren. Wir reden in der Gesellschaft schon jetzt gar nicht mehr über den Tod, dabei ist das ein ganz zentraler Bestandteil unseres Lebens. Das hat doch einen großen Einfluss darauf, wie wir leben, welche Beziehungen wir führen.
Mir ist das mit der Geburt meines zweiten Kindes noch mal bewusst geworden und das kennst du sicher besser als ich, aber auch der Geburtsprozess des Kindes ist etwas so Wichtiges. Wir können alles technologisieren, aber wenn das Kind bei einer natürlichen Geburt durch den Geburtskanal, unter dem Schambein hervorkommt, da stehen alle Ärzte und Hebammen davor wie ich, wenn ich auf der Weide stehe, wenn eine unserer Kühe ein Kalb bekommt. Du kannst gar nichts machen, da hilft dir keine Technologie.
Das heißt, wir sind Tiere. Wir gehören in die Natur und der Bezug zur Natur ist das, was wir wieder aufbauen, wieder verstehen müssen. Denn damit einher gehen so viele anderen Dinge, wie beispielsweise Mitgefühl.
Darum ist "Farm Rebellion" schauen eine gute Idee
Was ist das, wo du sagst: Das ist mir wichtig, dass das die Leute mitnehmen, wenn sie die sechs Folgen “Farm Rebellion” geguckt haben.
Ich wünsche mir, dass ihnen bewusst wird, dass die Landwirtschaft und die Frage der Landnutzung die größte und bedeutendste Frage unserer Zeit ist.
Ich wünsche mir auch, dass die Leute Lust darauf haben, mehr zu erfahren, dass sie Bock haben zu kochen, Gäste einzuladen, was Geiles zu essen, sich freuen rauszufahren und neugierig sind.
Am allerwichtigsten ist mir, dass die Menschen verstehen, dass die Arbeit der Landwirte und Landwirtinnen das Wichtigste überhaupt ist. Alle reden über Klimaanpassung und Biodiversität und Lebensmittel. Da ist jeder cool und wichtig und quatscht, aber es gibt eine Gruppe von Menschen, die machen das jeden Tag. Das sind die Landwirte und denen wird das gar nicht gedankt. Die kriegen nicht den Respekt, den sie verdient haben.
Über "Farm Rebellion" auf Disney+
Die Dreharbeiten zu „Farm Rebellion“ erstreckten sich über einen Zeitraum von einem Jahr und zeigen, wie sich die Protagonistinnen und Protagonisten der globalen Bewegung anschließen und mit ihren verschiedenen Persönlichkeiten und Ansätzen die Welt verändern wollen. Die Doku-Serie wurde in Deutschland, Großbritannien, Norwegen, Brasilien, Kenia und den USA gedreht.
Teil der Dokumentation sind unter anderem Dr. Auma Obama, Schwester des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, die norwegische Sterneköchin Heidi Bjerkan sowie José Gonzales aus Chile, der zusammen mit seiner Partnerin Lea Gerber eine Market Gardening Farm starten möchte. Das komplette Team folgt einer gemeinsamen Vision: eine neue, regenerative Art der Landwirtschaft zu erschaffen – als Blaupause für eine weltweite landwirtschaftliche Wende, die an die klimatischen Bedingungen der nächsten Jahrzehnte angepasst ist. Das Team sucht dabei rund um den Globus nach Ideen, die dazu beitragen, einen Wandel in der Landwirtschaft zu ermöglichen.