Nachhaltige Entwicklung führt über Bildung. Während der Schulbesuch für deutsche Kinder selbstverständlich ist, bleibt er im ländlichen Äthiopien vielen verwehrt. Wurden noch Anfang der neunziger Jahre weltweit nirgendwo so wenig Mädchen und Jungen eingeschult wie in Äthiopien, können sich heute immerhin mehr als 85 Prozent der Kinder im Grundschulalter auf ihren ersten Schultag freuen.
Doch vor allem in ländlichen Regionen fehlt es an Schulen. Und die, die es gibt, sind oft in einem sehr schlechten Zustand. Die 12-jährige Rukeya Chanie hat Glück: Sie kann eine der rund 450 Schulen besuchen, die die Stiftung Menschen für Menschen in den letzten 38 Jahren gegen den äthiopischen Bildungsnotstand errichtet und ausgestattet hat. Eine Chance auf eine bessere Zukunft – nicht nur für Rukeya selbst, sondern für ihre ganze Familie.
Schulalltag in Äthiopien: Rukeya zeigt uns ihr Leben
Für diese Dokumentation hat Henning Neuhaus, der im Büro der Stiftung Menschen für Menschen in Addis Abeba/Äthiopien der „heiße Draht“ nach Deutschland ist, die 12-jährige Rukeya Chanie in ihrem Heimatdorf besucht und die Schülerin durch den Tag begleitet.
Wore Illu in Äthiopien
Seit 2011 zählt Wore Illu zu den aktuell elf Projektgebieten der Stiftung Menschen für Menschen. Wore Illu liegt 295 km nordöstlich der Hauptstadt Addis Abeba in der South Wollo Zone im Regionalstaat Amhara. Rund 88 Prozent der knapp 109.000 Einwohner leben in ländlichen Regionen.
Rukeya ist eine von ihnen. Sie ist in dem kleinen Dorf Korare zuhause.
Vor der Schule: Hausarbeit
Mädchen müssen in Äthiopien oft früh Verantwortung in der Familie übernehmen und täglich viele Stunden schwere körperliche Arbeit leisten. Noch vor der Schule kümmert sich Rukeya um die Versorgung der Familie mit sauberem Trinkwasser. Dafür muss sie zwanzig Minuten zu Fuß zurücklegen, um den Brunnen zu erreichen, den Menschen für Menschen zusammen mit der Gemeinde errichtet hat.
Zuvor hatte die Familie ihr Trinkwasser aus einem verschmutzten Bach geschöpft. Durch das verunreinigte Wasser plagten sie häufig Magendarmerkrankungen, die es Rukeya und ihren Geschwistern teilweise unmöglich gemacht haben, zur Schule zu gehen.
Schmutziges Wasser macht krank
Einmal erkrankte Rukeya sogar an Typhus und konnte die Schule mehrere Wochen nicht besuchen. Durch den Zugang zu sauberem Trinkwasser hat sich die Gesundheit von Rukeya und ihrer Familie nun deutlich verbessert. Zweimal täglich führt sie der Weg zum Brunnen. Insgesamt 80 Liter Wasser verbraucht die fünfköpfige Familie am Tag.
Sauberes Wasser ist im ländlichen Äthiopien noch immer keine Selbstverständlichkeit. Vier von zehn Menschen mangelt es im Alltag an Trinkwasser.
Kilometerlange Fußmärsche zur Schule
Rukeya besucht die 7. Klasse der Kabe Higher Primary School. Da vor allem auf dem Land häufig Infrastruktur fehlt, wird der Schulweg oft zu einem kilometerlangen Marsch. Rukeya schätzt sich glücklich über einen nur 30-minütigen Fußweg, den sie zurücklegen muss, um die Schule zum Unterrichtsbeginn um 8 Uhr zu erreichen.
Überhaupt ist sie sich ihres Privilegs bewusst, eine Schule besuchen zu können. Setzten im Jahr 2000 nur knapp ein Drittel der Mädchen einen Fuß in ein Schulgebäude, sind es heute weit mehr als doppelt so viele – Rukeya ist eine von ihnen.
50% der 15-Jährigen können in Äthiopien nicht lesen und schreiben
1.400 Schülerinnen und Schüler besuchen seit 2016 die 5. bis 8. Klasse der neuen Kabe Higher Primary School. Da nicht alle Kinder zur gleichen Zeit in den drei Klassenraumblöcken Platz finden, wird in zwei Schichten unterrichtet.
Während Rukeya den Unterricht von 8 bis 12 Uhr besucht, wird die zweite Hälfte der Schülerschaft von 13 bis 17 Uhr unterrichtet. Rund 50 Prozent der über 15-Jährigen in Äthiopien können weder lesen noch schreiben (The World Factbook, 2017; Vgl. Deutschland: 1 Prozent).
Schlechte Lernbedingungen waren Alltag
Bevor 2016 das moderne, soliden Schulgebäude erbaut wurde, mussten Rukeya und ihre Mitschüler unter katastrophalen Bedingungen lernen. Die alten Gebäude aus Holz und Lehm waren von Termiten zerfressen, dunkel und eng. Genügend Tische habe es auch nicht gegeben, erzählt Rukeya.
Schule machte krank
Die Kinder litten ständig unter Atemnot, Husten und Erkältungen, da die Schule zugig und staubig war. In der Früh waren die Räumen kalt, am Nachmittag extrem heiß. Umstände, aufgrund derer viele Schülerinnen und Schüler dem Unterricht immer wieder fern bleiben mussten und die es sich hier bei uns schwer vorzustellen fällt.
Rukeya hilft im Haushalt, aber sie darf zur Schule gehen
Zuhause angekommen, wechselt Rukeya erst einmal die Kleidung, denn in der Schule tragen die Kinder eine Uniform. Danach trifft sie sich nicht etwa mit ihren Freundinnen zum Spielen, sondern hilft ihrer Mutter im Haushalt, z.B. beim Abwasch oder beim Wäschewaschen, oder sie kümmert sich um ihre kleine Schwester Marta. Im Anschluss kann sie sich Zeit für ihre Hausaufgaben nehmen.
Durch die verbesserte wirtschaftliche Situation ihrer Familie, muss Rukeya dem Vater nicht, wie viele andere Kinder ihres Alters, auf dem Acker helfen.
Über Menschen für Menschen
Die Stiftung Menschen für Menschen leistet seit fast 40 Jahren nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit in Äthiopien. In aktuell elf Projektregionen setzen rund 640 fest angestellte und fast ausschließlich äthiopische Mitarbeiter*innen gemeinsam mit der Bevölkerung die integrierten ländlichen Entwicklungsprojekte um. Dabei verzahnt die NGO rund 380 Maßnahmen in den Bereichen Landwirtschaft, Wasser, Bildung, Gesundheit und Einkommen miteinander und befähigt die Menschen, ihre Lebensumstände aus eigener Kraft zu verbessern.
Den Grundstein für die Stiftung legte 1981 der Schauspieler Karlheinz Böhm (gest. 2014) in der Sendung „Wetten, dass…?“.
Menschen für Menschen trägt durchgehend seit 1993 das Spendensiegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI). – Mehr über Menschen für Menschen findet ihr unter www.menschenfuermenschen.de