Wir haben den Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, zu Homeschooling und dem Präsenzunterricht in Zeiten von Corona befragt. Er hat auch Tipps für euch, wenn ihr mit der Kommunikation mit den Lehrer*innen unzufrieden seid, zeigt aber gleichzeitig auch Grenzen von Schule unter diesen besonderen Voraussetzungen auf.
"Die 10 Todsünden der Schulpolitik - Eine Streitschrift", heißt das Buch, das Heinz-Peter Meidinger gerade veröffentlicht hat. Und auch wenn ihr das im ersten Moment vielleicht nicht glauben wollt, Meidinger schreibt (auch) auf, was viele Eltern in dieser Zeit denken. Denn ja, Schule hat Defizite. Und ja, so Meidinger, "wir haben 800.000 Lehrkräfte, dass da auch ein paar schwarze Schafe dabei sind, die nicht hätten Lehrer*innen werden dürfen", das stimmt schon auch.
Wir haben aus dem ersten Lockdown viel gelernt. Damals ist vieles kreuz und quer gelaufen. Man hätte sich ja nie vorstellen können, dass man den Kontakt zu Schüler*innen und Eltern nur auf digitalem Wege aufnehmen kann. Arbeitsaufträge wurden vielfach auf die Straße gestellt, damit die Familien die abholen können. Das ist leider teilweise heute noch so. Auch bei den Lehrkräften war es so, dass sie nicht wussten, wie oft sie sich melden sollten. Das haben sicher auch viele Eltern gespürt. Die einen haben sich überkugelt vor Aktivitäten, manche waren eher vorsichtig.
Heinz-Peter Meidinger
Homeschooling im zweiten Lockdown
Aber der Großteil ist, auch in der Pandemie, sehr bemüht. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes empfindet die Kommunikation und Organisation im zweiten Lockdown als zufriedenstellender, abgesehen von der technischen Komponente, die vielerorts nach wie vor katastrophal ist.
Nur empfinden wir Eltern das individuell vielleicht ganz anders. Eine konkrete Zahl, wie oft sich Lehrer*innen bei den Schüler*innen melden sollten, gibt es aber nicht. Wichtiger ist im Blick zu haben, wie genau dieser Kontakt aussieht.
Ein Feedback für Schüler*innen ist wichtig
"Es sollte so sein, dass ein regelmäßiger Austausch stattfindet. Wenn es beispielsweise ein Arbeitsblatt gibt, das die Kinder lösen und dann abgeben sollen, dann würde ich erwarten, dass es mindestens ein Feedback gibt, ob die Lösung richtig war oder nicht. Wenn es nicht korrigiert wird, dann sollte eine Musterlösung geliefert werden. Oder in der nächsten Videostunde wird der Lösungsweg besprochen."
Was wirklich schlecht ist, ist ein Arbeitsauftrag ohne Feedback oder wenn die Schülerinnen und Schüler ohne Lernzielkontrolle arbeiten sollen.
Bittet um Gespräche, wenn ihr Sorgen habt
In der Grundschule, wenn eine Lehrkraft eine feste Klasse betreut, können Eltern allerdings schon einmal in der Woche einen Kontakt zwischen Lehrer*in und Schüler*in erwarten. An den weiterführenden Schulen sieht das anders aus. Vor allem, weil hier eine Lehrkraft bis 10 Klassen gleichzeitig betreut. Da solltet ihr auf eure Kinder achten. Habt ihr das Gefühl, sie verlieren den Anschluss, brauchen Hilfe oder haben Schwierigkeiten, dann sprecht die Lehrer*innen an. Wichtig ist, dass die Kommunikation nicht einkanalig verläuft. Eure Kinder sollen Gehör finden.
Schüler und Schülerinnen müssen zurückfragen können und dann auch eine Antwort bekommen. Niemand sollte mit den Lehraufträgen allein bleiben und raten müssen, ob das nun richtig oder falsch war.
Heinz-Peter Meidinger
Gleiches Pensum, verschärfte Bedingungen?
Viele Eltern äußern immer wieder Unverständnis darüber, dass scheinbar am alten Pensum aus Präsenzunterrichtszeiten festgehalten wird. Hier gibt es Handlungsbedarf, das sieht auch Meidinger so. "Grundsätzlich ist es so, dass die Lehrkräfte schon versuchen, die Schüler*innen fit für (Abschluss-) Prüfungen zu machen. Es gibt Dinge, die die Kinder lernen müssen. Da zu entscheiden, was verzichtbar ist, das ist gar nicht so einfach. Denn z. B. bei Mathe oder Geschichte oder auch einer Fremdsprache baut ja vieles aufeinander auf."
Was sich der Deutsche Lehrerverband gewünscht hätte, wäre eine zentrale Regelung gewesen. Dass eben nicht die einzelne Lehrkraft diese schwierige Entscheidung fällen muss. Stattdessen wären zentrale Sternchenlisten gut gewesen, wo dann markiert wird, was verzichtbar ist. Das hat es in vielen Ländern gegeben, aber nicht wirklich zur Zufriedenheit der Lehrer*innen. Denn vieles, was da gelandet ist, das war eh schon Puffer.
Heinz-Peter Meidinger
Um die kümmern, die (große) Lücken haben
Bereits umgesetzt wurde, dass die Anzahl an Tests und Klausuren für das laufende Schuljahr reduziert wurde. Ein großzügiges Vorrücken wird ermöglicht. Allerdings ist dies eine zweischneidige Entscheidung. Denn es gab ja im letzten Schuljahr schon Lücken bei einigen Schüler*innen. Die werden weiter mitgeschleppt. Hier sieht der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes dringenden Handlungsbedarf.
"Es ist nicht die Mehrheit, aber wir müssen uns um diese Kinder kümmern, weil diese Gruppe über zwei Jahre deutliche Lernlücken in den Kernfächern angesammelt hat und die einfach mehr Zeit braucht. Sonst laufen sie bei den Prüfungen gegen die Wand."
Angebot für die, die Hilfe wünschen
Da das (freiwillige) Wiederholen einer Klasse nicht gerade attraktiv ist, will der Deutsche Lehrerverband nun andere Wege gehen. "Wir wünschen uns da eher ein Angebot für eine kleine Schülergruppen, so 10-15 Schüler*innen. Die bekommen dann ein Programm, das sich schwerpunktmäßig um die Defizite des letzten Jahres kümmert. Der Vorteil: Diese Kinder und Jugendlichen werden gesehen, sie bleiben in ihren bekannten Gruppen."
Angebot steht allen offen, ohne Stempel
Dazu bedarf es intensiver Gespräche, denn weil es auch in diesem Jahr kein Sitzenbleiben geben soll, entscheidet in letzter Instanz ihr Eltern. Was euch aber auch klar sein dürfte: Wenn die Lücken immer größer werden, kann das dazu führen, dass eure Kinder sich total überfordern und es dann doch nicht für den Abschluss reicht.
Meidinger geht davon aus, dass dieses Angebot auch von Schüler*innen genutzt wird, die ihre Noten verbessern möchten. Das täte dem Programm auch gut. Denn es darf keinen Coronastempel für die Schüler*innen geben, die sich freiwillig solch einer Gruppe anschließen.
Prioritär würde ich immer zuerst die Grund- und Abschlussklassen in die Schulen zurückholen.
Öffnung nur mit Plan
Die Infektionszahlen stimmen im Moment ja recht hoffnungsfroh. Heinz-Peter Meidinger plädiert auch für eine Öffnung der Schulen, wünscht sich aber auch einen Hygienestufenplan von den Kultusministerien.
Wir brauchen einen verbindlichen Hygieneplan. Die Schulen müssen wissen, bei welchen Zahlen sie sich wie zu verhalten haben. Das ist das, was die Politik versäumt hat, hier eine Orientierung zu bieten. Es wird auch einen Flickenteppich geben, wenn es einen Hygienestufenplan gibt, aber das wäre dann wissenschaftsbasiert. Jetzt haben wir einen Flickenteppich, der eher mit politischen Entscheidungen zusammenhängt.
Heinz-Peter Meidinger
Schule in Zeiten von einer Pandemie
"Wir müssen auch eine Vorstellung davon entwickeln, wie Schule nach der Pandemie aussehen wird. Welchen Unterricht wollen wir nach Corona haben? Präsenzunterricht, der digital gestützt ist wäre etwas, dass wir als Lehrerverband uns sehr gut vorstellen können. Da muss aber natürlich auch die Ausstattung stimmen", sagt Meidinger.
Und dann? Konzepte für guten Präsenzunterricht
Nur, die Technik allein ist eben nicht alles. "Es fehlen aber auch Konzepte, wie eine gute Unterrichtsstunde aussieht, wenn wir alle gut ausgestattet sind. Wie werden die verschiedenen Medien eingebunden? Wie können Schülerinnen und Schüler das nutzen? Schnelles Internet und jede*r ein eigenes Laptop, das reicht einfach nicht."
Ja, wir brauchen die Technik, aber wir müssen damit auch pädagogischen Mehrwert erzeugen. Technik allein bietet keinen Mehrwert.
Meine Meinung
Natürlich wollen wir alle ganz individuelle Lösungen für die Probleme mit unseren Schulkindern. Aber die kann der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes natürlich auch nicht bieten, er hat das große Ganze im Blick. Und ein deutlich besseres Bild von Lehrer*innen als viele Eltern es dieser Tage zeichnen.
Welche Herausforderungen beschäftigen euch und eure Kinder zur Zeit?
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Foto Heinz-Peter Meidinger: privat