Wie Eltern den angeborenen Ehrgeiz ihres Kindes beflügeln können und warum Ausdauer und Geduld unbedingt dazugehören - bei Kindern wie Eltern.
Ist Ihr Kind ehrgeizig?
Wie sehen Sie das: Wünschen Sie Ihrem Kind eine ordentliche Portion Ehrgeiz? Wahrscheinlich überlegen Sie kurz und antworten dann: „Ja, im Prinzip schon, aber “ Mit dem Ehrgeiz ist das eben so eine Sache! Eine kleine Spontan-Umfrage unter Kollegen ergab Folgendes: Zwei fanden, dass ehrgeizige Menschen unangenehm, unsympathisch und humorlos seien. Die drei anderen wiederum meinten, dass man es mit dem Ehrgeiz zwar übertreiben könne, es aber grundsätzlich begrüßenswert sei, wenn Kinder einen gewissen Ehrgeiz an den Tag legten. Und dann ging es erst richtig los: „Ohne gesunden Ehrgeiz kommt man nicht weiter!“ Und: „Ein ehrgeiziges Projekt - das klingt doch nach Visionen.“ Aber auch: „Ehrgeizling, Karrierist und Streber - so soll mein Kind nicht werden!“ Ja, was denn nun?
Wann man von Ehrgeiz spricht
Solche Irrungen und Wirrungen entstehen, weil wir, wenn wir von Ehrgeiz sprechen, dasselbe Wort für unterschiedliche Dinge verwenden. Bleibt man beim eigentlichen Wortsinn, dann lässt sich über den Ehrgeiz wirklich nicht viel Gutes sagen. Er beschreibt schon beim Reformator Martin Luther das Gefühl, anderen die Ehre zu missgönnen oder zu neiden. Er ist ein Gefühl des Mangels, genährt von Unzufriedenheit und Missgunst. In der Umgangssprache verwenden wir das Wort „Ehrgeiz“ allerdings auch, wenn wir ein ganzes Bündel von Eigenschaften meinen: nämlich die Fähigkeit und die Lust, etwas zu leisten, die Stärke, Hindernisse zu überwinden und Probleme zu lösen, sowie die Freude am Schaffen und Gelingen. "Der Wunsch, über sich hinauszuwachsen, kommt schon ganz früh. Bereits Babys möchten etwas leisten. Das ist von Anfang an ein Bedürfnis, eine ganz grundlegende Erfahrung“, erklärt der Neurobiologe Gerald Hüther.
Jeder, der schon mal ein Baby dabei beobachtet hat, wie es mit aller Kraft vorwärtsrobbt, um zu einem roten Bauklötzchen oder zu einer raschelnden Zeitung zu gelangen, weiß, was gemeint ist. Oder der unermüdliche Versuch von Zweijährigen, einen Turm aufzustapeln. Wenn das kein Ehrgeiz ist! Die Glücksgefühle, die ein Kind empfindet, wenn ihm etwas gelingt, tragen entscheidend zur Verschaltung der Synapsen im Gehirn bei und begünstigen den Aufbau einer differenzierten Gehirnstruktur. Kurz: Erfolg macht erfolgreich.
Zu großer Ehrgeiz bei Eltern ist oft ein Problem
Zu großer Ehrgeiz bei Eltern ist oft ein Problem
Der Psychologe Rost sagt auch: „Der übergroße Ehrgeiz von Eltern ist oft ein größeres Problem als mangelnder Ehrgeiz von Kindern.“ Denn sind die Erwartungen an ein Kind dauerhaft zu hoch, erlebt es eine doppelte Enttäuschung: Es ist nicht nur unglücklich über sich selbst, sondern auch über diejenigen, die diese Erwartung an das Kind gestellt haben. Vertrauen geht verloren - in die eigenen Kompetenzen und in die Bezugsperson. „Beides erzeugt eine so starke innere Unruhe im Gehirn, dass nichts Neues mehr hinzugelernt werden kann“, sagt der Neurobiologe Hüther. Bemerkenswert: Nicht ehrgeizige Eltern, die viel verlangen und „Druck machen“, haben (langfristig) die erfolgreicheren Kinder, sondern solche, die ihren Kindern Schaffensfreude und heiteres Engagement vorleben - indem sie sich z.B. leidenschaftlich um ihre Rosenzucht kümmern, den besten Käsekuchen der Welt backen oder im Vorstand des örtlichen Tennisvereins tätig sind. Ein inspirierendes Elternhaus bewirkt eben mehr als die immer wieder ausgesprochene Mahnung, sich doch endlich mehr anzustrengen. „Wenn Bildung im Elternhaus einen hohen Stellenwert hat, färbt das auf die Kinder ab“, sagt der Schulpsychologe Norbert Hartmann. Das heißt natürlich nicht, dass Kinder deshalb automatisch ständig Klassenbeste sind. Aber es in ein Kapital, von dem Kinder ein ganzes Leben zehren können.
Ehrgeiz fördert Gestaltungslust bei Kindern
Ehrgeiz fördert Gestaltungslust bei Kindern
Kinder erschließen sich die Welt, indem sie ihre eigenen, klugen und oft anarchischen Wege gehen. Das damit verbundene Chaos mögen wir Erwachsene nicht sehr. Und zugegeben: Es auszuhalten, kostet wirklich manchmal Kraft. Aber es lohnt sich! Ein Beispiel: Am Wochenende hatte meine sechsjährige Tochter Carlotta Besuch von ihrem Kindergartenkumpel Ben. In ihrem Zimmer stießen die beiden auf drei alte Luftballons und kamen auf die Idee, sie zu Wasserbomben umzufunktionieren. Der Albtraum aller Eltern. Aber wir beschlossen: „Es ist ein heißer Tag. Unser Linoleumboden hält das aus. Lassen wir sie machen!“ Hinterher dachte ich: Wie gut, dass wir nicht unserem ersten Impuls gefolgt sind und „Nein“ gesagt haben. Denn eigentlich war es beeindruckend, was die beiden in einer Stunde mit ihrem natürlichen Ehrgeiz hinbekommen hatten: Sie überzeugten uns von ihrem Projekt „Wasserbombe“ - wobei ihr wortreiches Plädoyer jedem Anwalt zur Ehre gereicht hätte. Beim Befüllen der Ballons experimentierten sie mit Wasserdruck und Materialdehnung. Sie lösten das Logistikproblem, die gefüllten Ballons heil in den Hof zu bekommen (in einer Metallschüssel). Sie probierten verschiedene Möglichkeiten aus, bis der maximale Spritzeffekt erzielt war.Sie handelten Regeln aus, was erlaubt ist und was nicht. Sie liehen sich von Carlottas Vater zwei Euro, um bei der Drogerie weitere Ballons zu kaufen.Sie wählten passende Ballons aus, bezahlten sie und kontrollierten das Wechselgeld. Auf dem Rückweg zählten sie die Ballons und verteilten sie gerecht untereinander. Nach der Wasserschlacht entsorgten sie vorbildlich die Ballonreste - das allerdings nur aufgrund meiner Ansage, dass sie nie, nie wieder Wasserbomben machen dürften, wenn ich hinterher im Hof nur einen einzigen Ballonfitzel fände. Und das lernte ich an diesem Nachmittag: Kinder können eine enorme Gestaltungslust und Lernfreude entwickeln. Man muss nur den Mut haben, sie Dinge manchmal auch auf ihre Weise tun zu lassen. Ben und Carlotta „arbeiteten“ über eine Stunde an ihrem Projekt, sie diskutierten, organisierten, lösten Probleme. Kurzum: Sie leisteten eine Menge - und hatten Spaß dabei. Klingt ganz so, als könnte man sich - nicht ausschließlich, aber eben auch - mit etwas so Schlichtem wie Wasserbomben ganz prima auf den Ernst des Lebens vorbereiten und seinen Ehrgeiz ausleben. Und das ist doch wirklich eine gute Nachricht.
Die innere Motivation von Kindern
Die innere Motivation von Kindern
Gerade weil es um die innere Motivation geht, sollten wir die Interessen unserer Kinder nicht nach den Maßstäben der Erwachsenenwelt bewerten. Es muss nicht alles gleich erkennbar sinnvoll, effizient, wichtig und lohnend sein, wofür Kinder sich begeistern und engagieren. „Kinder entwickeln auf den abgelegensten Feldern Ehrgeiz“, sagt die Hamburger Psychologin Angelika Faas. „Beim Sammeln von Dino-Stickern, beim Höhlenbau, beim Streichespielen oder Kunststückevorführen - in diesen Momenten sind sie beseelt, begeistert und steigern ihre Leistung in dem ihnen angemessenen Tempo.“
Expertennrat: Der richtige Umgang mit Ehrgeiz
1. Das richtige Ziel ansteuern: Kinder brauchen eine auf ihre Interessen und Fähigkeiten abgestimmte Förderung. Wer sie in eine Richtung drängen will, die nicht ihre ist, demotiviert sie. 2. Den richtigen Weg beschreiten: Kinder entwickeln sich nicht linear, sondern sprunghaft und in Schüben. Deshalb brauchen sie Eltern, die Umwege geduldig ertragen und Rückschritte als normalen Teil eines Einwicklungsprozesses akzeptieren. 3. Den richtigen Maßstab anlegen. Ein Kind läuft mit elf, ein anderes mit 16 Monaten. Das eine wird Klassensprecher, das andere äußert sich am liebsten nur in der Kleingruppe. Das eine ist nicht besser als das andere. Sein Kind mit anderen zu vergleichen, ist ein verständlicher Reflex, förderlich ist das aber nur sehr selten.
4. Und besonders für kleinere Kinder gilt: Zu viele und zu frühe Anforderungen sind eher schädlich. „Für viele Dinge, die Kinder in den ersten Lebensjahren lernen, brauchen sie erst einmal die körperlichen und geistigen Voraussetzungen. Es macht deshalb wenig Sinn, ihnen möglichst früh möglichst viel beibringen zu wollen. Wenn Eltern zu viel möchten, riskieren sie, ihren Nachwuchs zu überfordern. Kinder sind von Natur aus aktive und lernbegierige Wesen - wenn man allerdings zu viel auf sie einprasseln lässt, werden sie passiv“, so die Psychologin Elsbeth Stern vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.
Aufgabe der Eltern: Gesunden Ehrgeiz der Kinder fördern
Aufgabe der Eltern: Gesunden Ehrgeiz der Kinder fördern
Unsere Aufgabe als Eltern ist es, diese frühe Lust am Gelingen zu erhalten, zu fördern und wie einen kostenbaren Schatz zu hüten und zu pflegen. Pflegen heißt aber mitnichten verwöhnen und verzärteln. Kinder brauchen vielmehr die Möglichkeit, sich einzubringen, sich anzustrengen und auch mal alles in die Waagschale werfen zu können. Dann können sie zeigen, was in ihnen steckt. Aber selbstverständlich ist das heute nicht. „Kindern fehlt es häufig an Aufgaben, die sie fordern, anspornen und ihnen die Chance geben, über sich hinauszuwachsen“, sagt Gerald Hüther. Der Neurobiologe spricht aber auch ganz klar von der schwierigen Balance, die es zu finden gilt: „Wir leben in einer stark auf Konkurrenz und Rivalität ausgerichteten Gesellschaft. Da wird aus Fördern und Fordern schnell strammer Ehrgeiz. Und diesen Ehrgeiz reden wir uns dann als „Zukunftskompetenz“ schön, weil sich mit ihm Macht und Erfolg scheinbar leicht realisieren lassen. Unseren Kindern tun wir mit solch einer Haltung aber keinen Gefallen.“
Intrinsische und extrinsische Motivation
Es ist eben nicht so einfach mit dem Ehrgeiz. Wie wecken wir Lust auf Leistung, ohne unsere Kinder zu kleinen Karrieristen zu erziehen, die sich immer nur mit anderen vergleichen und den Erfolg brauchen? Der Lübecker Schulpsychologe Norbert Hartmann sagt: „Entscheidend ist, ob ein Kind aus sich heraus handelt oder überwiegend fremdbestimmt ist.“ Die Fachworte dafür lauten „intrinsisch motiviert“ und „extrinsisch motiviert“. Kurz gesagt: Ideal ist es, wenn ein Kind eine gute Note schreibt, weil es sich für das Thema interessiert und den Stoff durchdrungen hat. Die Eins ist dann sozusagen die schönste Nebensache der Welt. Problematisch wird es, wenn ein Kind sich nur um der Note willen anstrengt, um damit Lob und Anerkennung von Eltern und Lehrern zu ernten. „Da geht es dann nur um die Reaktion auf die Leistung, und das ist langfristig keine gute Basis“, sagt Hartmann. „Wer seinen Kindern Erfolg wünscht, sollte sich weniger um Noten und andere ,Leistungsbeweise´ kümmern, sondern Interesse und Begeisterung für die Sache selbst wecken und fördern“, rät Hartmann. Das gelingt zum Beispiel, wenn Eltern eben nicht als Erstes nach der Note fragen, sondern sich erkundigen, worum es in der Klassenarbeit überhaupt ging. Scheinbar eine Kleinigkeit. Aber wenn Eltern sich für die Inhalte und den Lernstoff selbst interessieren, kommt beim Kind die Botschaft an: „Es geht um die Sache und nicht nur um die Ziffer, die der Lehrer unter meine Arbeit geschrieben hat.“ Der an der Uni Marburg lehrende Hochbegabten-Experte Prof. Detlef H. Rost hat festgestellt: „Hochbegabte, von denen man landläufig erwartet, dass sie aufgrund ihres Potenzials ständig Einser schreiben, sind oft zufrieden mit einem Zweier-Zeugnis. Und warum? Dafür müssen sie sich nicht anstrengen, und es bleibt ihnen mehr Zeit und Raum für ihre breit gefächerten außerschulischen Interessen.“ Ehrgeiz zeigt sich eben nicht nur in Supernoten, sondern, wie hier, in der klugen Einteilung der Kräfte.