Bei Sätzen wie “Diggi, lass ma Kotti chilln”, wird manchen Eltern regelrecht schlecht. Dabei vergisst du vielleicht, dass auch du früher deine eigene Sprache hattest ...
“Nice Brudi, ich küsse deine Augen!” Wer diesen Satz in der Bahn oder auf der Straße hört, ist bereits mittendrin – im Dschungel der Jugendsprache. Zwischen Sätzen die mit “Hallo i bims” oder “Digger, lass ma Mecces“ anfangen, fühlt sich so mancher Erwachsene ganz schön ratlos. Doch woher kommt diese eigene Sprache und ist sie ein Grund zur Sorge?
Auch die Großeltern hatte ihre eigene Sprache
“Jugendsprache hat es schon immer gegeben”, erklärt Dr. Nils Bahlo, Germanist an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, “nur leider wissen wir über die älteren Jugendsprachen vor 1750 sehr wenig. Das hängt damit zusammen, dass Jugendliche früher als junge Erwachsene gesehen wurden und auch das Forschungsinteresse einfach nicht bestand.” Kommen Trendwörter heute manchmal aus dem Englischen oder Arabischen (“nice” oder “wallah”), so bedienten sich Jugendliche im 18. Jahrhundert an griechischen oder lateinischen Begriffen. Das kannst du deinem Kind erzählen, wenn es mal wieder keine Lust auf Lateinvokabeln-Pauken hat.
Übrigens gibt es nicht “die eine” Jugendsprache an sich, genauso wenig, wie es “die” Jugend gibt. Nils Bahlo meint, es gebe zwar einen gemeinsam geteilten Kern, letztlich aber viele verschiedene Stile und Besonderheiten, die sich in verschiedenen Gruppen, Situationen, Zeiten oder Orten voneinander unterscheiden. Welche Worte gerade angesagt sind, wird aus verschiedenen Richtungen beeinflusst: “Es gibt ganz unterschiedliche Trenddomänen. Sehr einflussreich sind die Musik, die Computerbranche als Unterhaltungsindustrie, Film und Fernsehen und neuerdings auch die Influencer der sogenannten neuen Medien”, so Bahlo.
Abgrenzung und Zugehörigkeit
Doch wieso der eigene Slang? Jugendsprache dient vor allen Dingen zur Abgrenzung. Während der Pubertät ist der damit einhergehenden Identitätsfindung ein ganz normaler Prozess. Jugendliche wollen ihr eigenes Leben leben und nicht das ihrer Eltern, sie sehnen sich nach Neuem und Eigenem und das macht auch vor der Sprache nicht Halt. Gleichzeitig drücken sie durch die Sprache aber auch Zugehörigkeit aus, nämlich zu ihrer eigenen Peer-Group, ihre Bezugsgruppe, die die gleichen Interessen teilt. Außerdem ist die emotionale Komponente bei der Frage nach Gründen für Jugendsprache eine sehr wichtige. Während der Pubertät haben Teenager mit vielen Problemen zu kämpfen, die sie durch ihre einfache Sprache besser zum Ausdruck bringen können. “Alter, wie wack” eignet sich doch wesentlich besser, um Wut oder Aggression verbal auszuleben, als “Wie blöd!”.
“Alter!” – Ein Dauerbrenner
Auch wenn sich das Vokabular der Jugendsprachen ständig verändert, so gibt es manche Begriffe, die immer Hochkonjunktur haben: So ist „Alter“ laut Nils Bahlo schon im Wörterbuch des Salmasius als studentischer Begriff 1754 aufgeführt. Ursprünglich war es ein abwertender Begriff, der aber dann irgendwann seinen beleidigenden Charakter verloren habe. „Digger“ oder „Diggi“ stammen laut des Münsteraner Germanisten wohl aus dem norddeutschen Raum und hätten durch die Verbreitung im deutschen Hip-Hop in den 1990er Jahren eine steile Karriere gemacht. Falls dein Kind seinen Kumpel “Digger” nennt, will es aber nicht etwa einen abfälligen Kommentar gegenüber seinem Körper machen, “Digger” ist vielmehr positiv als freundschaftliche Anrede gemeint.
Kein Anzeichen von Sprachverfall
“Früher war alles besser” oder “die Jugend von heute…” – Sätze, mit denen Eltern und Großeltern gerne mal um sich schmeißen, wenn sie ihre Kinder und Enkel reden hören. Grammatikalische Fehler und seltsame Wortneuschöpfungen machen Sorge, dass die Sprache immer schlechter wird. Auch wenn sich bei Sätzen wie “Lass ma Kotti chilln” vielen Eltern die Fußnägel aufrollen, bedeutet das nicht, dass dein Kind jetzt für immer so redet. Sprache ist kein starres Konstrukt, sie unterliegt einem ständigen Wandel – und das gilt auch für Jugendsprache. Was gestern noch “cool” hieß, ist heute “lit”.
Manchmal werden auch Kritiker laut, die vor dem Sprachverfall durch die Zunahme von Anglizismen oder arabischstämmigen Worten warnen möchten. Germanist Nils Bahlo meint dazu: “Jugendsprache war schon immer international. Früher waren die „hippen“ Begriffe aus dem Lateinischen oder Griechischen, später waren es frankophone Begriffe. Heute haben wir Anglizismen und in Ballungsräumen oftmals Begriffe, die ans türkische oder arabische angelehnt sind. Jugendsprache spiegelt immer die Gesellschaft wider. Den Kritikern, die eine Überflutung von ausländischen Wörtern prophezeien, kann man entgegenhalten, dass der Einfluss von ausländischen Wörtern recht gering ist.” Außerdem, so betont Bahlo, werden nicht deutschsprachige Begriffe sogar meist an die deutsche Sprache angepasst: Das werde beispielsweise an der deutschen Verwendungen des englischen Begriffs „chill”, nämlich “chill–en“ deutlich.
Von Ehrenfrauen und Babos: Jugendwort des Jahres
Jedes Jahr kürt der Münchner Langenscheidt–Verlag das “Jugendwort des Jahres”. Jeder kann einen Vorschlag einreichen, eine Jury aus Sprachwissenschaftlern, Journalisten und Jugendlichen wählt dann im November jeden Jahres den besten Begriff aus. So können Jugendliche teilweise mit dem Wort des Jahres zwar nicht viel anfangen, dennoch animiert es sie über Sprache nachzudenken und zu lachen.
Hier findest du das “Jugendwort des Jahres” der letzten 10 Jahre:
- 2018: Ehrenmann/Ehrenfrau
- 2017: i bims
- 2016: fly sein
- 2015: Smombie (Mischung aus Smartphone + Zombie)
- 2014: Läuft bei dir
- 2013: Babo
- 2012: Yolo (Abkürzung für: You Only Live Once)
- 2011: Swag
- 2010: Niveaulimbo
- 2009: hartzen
Alles nur eine Phase
“Jugendsprache verliert irgendwann einfach an Bedeutung, da die Jugendlichen andere Rollen übernehmen und Jugendsprache dann nicht mehr (so stark) Verwendung findet” , erklärt Bahlo. Irgendwann sei die Sprache einfach unpragmatisch. Ein wenig Jugendsprache bleibe aber immer erhalten, man nehme sie dann nur nicht mehr so wahr, da manche Begriffe sich auch den Weg in die allgemeingültige Alltagssprache bahnen. Wer denkt bei den Begriffen wie „Fete“, „toll“, „die Sau rauslassen“ oder „ein Fass aufmachen“ heute noch an Jugendsprache? Seht ihr, alles easy!
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