Im Teenageralter fügen sich manche Jugendliche mit Absicht Schmerzen zu. Wieso sie das tun, wann es krankhaft wird und wie du deinem Kind helfen kannst.
Es fällt ganz zufällig und plötzlich auf, beim gemeinsamen Klamottenkauf oder beim Abendessen. Der Pullover rutscht beim Griff zur Butter etwas nach oben und offenbart kleine, dunkle Striche am Unterarm. Sie sind rot und wund – es sind Verletzungen. Wenn Eltern solche Wunden am Körper ihres Kindes entdecken, sind sie schockiert, besorgt und zugleich ratlos. Woher hat mein Kind diese Verletzungen? Dass sich manche Kinder im Teenageralter ritzen, ist bekannt. Doch wieso Kinder das tun und wie Eltern am besten mit der Situation umgehen, darüber wird wenig gesprochen. Wir haben die wichtigsten Fragen zusammengefasst.
Was ist Ritzen?
Ritzen ist ein umgangssprachliches Wort und gleichzeitig eine Form von selbstverletzendem Verhalten (SVV). Dabei handelt es sich um eine bewusste, motivierte und direkte Verletzung des eigenen Körpers. Wunden und Schmerzen werden dem Körper also mit Absicht zugefügt. Das kann auf vielen verschiedenen Wegen erfolgen, beispielsweise durch das eigene Kneifen, Kratzen, Beißen oder durchs Ritzen. Beim Ritzen wird die Haut, meist die am Unterarm, mit einem Messer, einer Rasierklinge, einer Schere, einem Kronkorken oder einem anderen scharfen Gegenstand verletzt.
Aus Studien geht hervor, dass sich etwa 20 % der Neuntklässler in Deutschland schon einmal selbst verletzt haben, wiederholtes Ritzen tritt bei etwa 4 % der Jugendlichen auf. Mädchen sind dabei viel häufiger – etwa 10 Mal so oft – vertreten wie Jungs.
Manche Jugendliche ritzen sich, weil Freunde oder Mitschüler das machen. Es gilt als Mutprobe, sie machen es, weil es gerade “in” ist. Auch soziale Netzwerke, allen voran Instagram, spielen dabei mittlerweile eine wichtige Rolle: Unter verschiedenen Hashtags finden sich Bilder und Videos von jungen Menschen, die sich ritzen. Solche Profile, vor allem wenn sie eine große Reichweite haben, animieren junge Menschen, es auch zu machen. Die Selbstverletzung findet hier meist einmalig statt, es geht um dass Ausprobieren und um das Beweisen, dass man Schmerzen aushalten kann. Das ist jedoch eher ein Ausnahmegrund. In der Regel deutet SVV auf psychische Probleme hin.
Wieso ritzt sich mein Kind?
Ritzen ist meist ein Ausdruck seelischer Belastungen. Es ist ein Zeichen dafür, dass ein Kind unter ernsthaften psychischen Problemen leidet. Angst, Unsicherheit, Aggression, Einsamkeit, Überforderung oder Trauer können hier unter anderem die Auslöser sein. Durch das Ritzen wird versucht, den seelischen Schmerz zu kompensieren. Das Verletzen dient dem Spannungsabbau, manchmal aber auch der Selbstbestrafung. Sich verletzen und der darauf folgende Schmerz erscheinen den Betroffenen als einzige Möglichkeit, um mit schlimmen Erlebnissen, Traumata, Scheitern oder Ängsten umzugehen. Beim Ritzen schüttet der Körper Adrenalin und Endorphine aus, die eine Art Glücksgefühl hervorrufen. Eine ganz natürliche Reaktion des Körpers, um Schmerzen zu unterdrücken. Bei manchen Menschen kann dieses Gefühl aber süchtig machen, besonders, wenn die Lebensumstände sehr problematisch sind.
SVV kann auch ein Anzeichen für eine Borderline-Erkrankung sein. Hier ist die Selbstverletzung ein sehr häufiges Symptom, weitere können unter anderem eine sehr labile Gefühlswelt, Paranoia, Impulsivität und Gefühlsstürme oder Unsicherheit sein. Ob dein Kind von Borderline betroffen ist, kann nur ein Psychologe feststellen.
Wann wird Ritzen zur Sucht?
Selbstverletzendes Verhalten kann einmalig oder in einer kurzen Phase auftreten. Bei manchen Jugendlichen wird das Ritzen aber regelrecht zur Sucht. Diese Anzeichen deuten darauf hin:
- Wenn längere Zeit nicht geritzt wird, tritt großer Druck und das Verlangen ein, es wieder zu tun.
- Es entwickelt sich eine Toleranz: Dadurch muss öfters und stärker geritzt werden.
- Betroffene verstecken ihre Wunden, schämen sich und reagieren aggressiv, wenn das Thema angesprochen wird.
Mein Kind verletzt sich selbst – was kann ich tun?
Wenn Eltern erfahren, dass sich ihre Kinder ritzen, fühlen sie sich oft hilflos, sind besorgt und manchmal aber auch verständnislos. Letzteres sollte aber keinesfalls zum Ausdruck gebracht werden: Ritzen ist eine Art Hilferuf, ein klares Zeichen, dass dein Kind jetzt Unterstützung braucht. Diese 5 Tipps können dir weiterhelfen:
- Tipp 1 – Verständnis zeigen: Mach deinem Kind keine Vorwürfe. Ritzen ist ein Zeichen dafür, dass dein Kind mit seinen Gefühlen, seinen Gedanken, seiner Psyche nicht mehr zurechtkommt. Gib ihm das Gefühl, akzeptiert und verstanden zu werden. Steh ihm als Vertrauensperson zur Seite.
- Tipp 2 – Über Gefühle reden: Ermutige dein Kind, über seine Gefühle zu sprechen und diese zu verarbeiten. Das kann es mit dir oder einer guten Freundin machen. Wenn es nicht darüber sprechen möchte, kann aber auch z. B. das Schreiben eines Tagebuchs, Malen oder Musikmachen eine gute Möglichkeit sein, die Gefühle zu verarbeiten.
- Tipp 3 – Professionelle Hilfe suchen: Wenn regelmäßig oder schon länger geritzt wird, solltet ihr dringend einen Psychologen hinzuziehen. Mache deinem Kind klar, dass es sich dafür nicht schämen muss und viele andere Jugendliche Gleiches durchmachen. Gruppentherapien können daher auch ein guter Weg sein, um das Ganze zu verarbeiten.
- Tipp 4 – Alltag strukturieren: Bei seelischen Problemen fühlen sich Jugendliche unsicher, wissen nichts mit sich anzufangen. Deshalb solltest du versuchen, den Alltag zu stabilisieren und [BO10] durch klare Regeln zu strukturieren. Eine Struktur gibt Halt .
- Tipp 5 – Anonyme Beratung wahrnehmen: Manchmal liegen dem Ritzen auch familiäre Schwierigkeiten zugrunde, zum Beispiel, wenn Eltern sich trennen. Vielleicht möchte dein Kind dann nicht mit dir über die Probleme reden. Hilfeseiten und -telefone wie www.nummergegenkummer.de und der Nummer 116111 sind hier ein guter Anlaufpunkt. Hier gibt es auch eine Elternnummer: Unter 08001110550 kannst du anonym und kostenlos über deine Sorgen sprechen und dir Rat einholen.
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