Erinnert ihr euch noch, neben wem ihr zu Schulzeiten gesessen habt? Jetzt überlegt mal, wie angenehm ihr die Zeit mit dieser Person empfunden habt. Seid ihr vielleicht heute noch miteinander befreundet? Unsere Kolumnistin blickt auf ihre eigene Schulzeit zurück, denn Forschende haben gerade herausgefunden, dass der Sitzplatz in der Schule für Kinder und Freundschaften extrem wichtig ist.
- 1.Sollen Kitafreunde in der Schule nebeneinander sitzen?
- 2.Studie zu Sitzplätzen und Freundschaften
- 3.Experiment mit 3000 Schüler*innen
- 4.Nebeneinandersitzen erhöht die Chance auf Freundschaft
- 5.Lebenslange Freundschaften starten in der Schulzeit
- 6.Sollen Kinder selbst ihren Sitzplatz in der Schule wählen?
- 7.Sitzplatz erweitert Horizont
- 8.Frontalunterricht vs Flexibilität
- 9.Durchhalten kann manchmal helfen
- 10.Wie wichtig ist Freundschaft im Schulalltag?
- 11.Studienergebnisse sollten auch umgesetzt werden
Ehrlich gesagt, an die erste Klasse habe ich kaum Erinnerungen. Mega Einstieg ins Thema, oder? Aber es ist einfach so, neben wem ich da gesessen habe oder wer überhaupt mit mir in der Klasse war, da bin ich heute vollkommen ahnungslos. Es war mir vermutlich auch einfach nicht so wichtig, neben wem ich da im Unterricht saß, Hauptsache nicht allein. Heute als Mutter eines Schulkindes sehe ich das ein bisschen anders. Und habe mich, wie viele Eltern gefragt: Soll mein Kind mit Kitafreund*innen in die Schule gehen?
Sollen Kitafreunde in der Schule nebeneinander sitzen?
Da ich keine qualifizierte Antwort darauf geben kann, habe ich Heinz-Peter Meidinger gefragt. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes kennt sich beim Thema Sitzplatzordnung in der Schule natürlich bestens aus. Zur Frage, ob zur Einschulung das eigene Kind neben einen Kitafreund gesetzt werden soll, sagt er: "Für Kinder, die in diesem Alter noch sehr unsicher und ängstlich sind, wirkt es in dieser aufregenden Zeit eines Neustarts in der Schule, übrigens auch dann beim Wechsel in eine weiterführende Schule, beruhigend und gibt auch mehr Sicherheit, wenn man direkt neben jemanden sitzt, den man schon länger kennt. Aber unsere Erfahrung ist, dass die Kinder sich in ihrer neuen Umgebung auch dann schnell einfinden, wenn dort keine Freunde aus dem Kindergarten mehr sind."
Studie zu Sitzplätzen und Freundschaften
Ich weiß, dass ich ab der dritten Klasse neben dem Mädchen saß, was auch viele Jahre danach noch meine beste Freundin war. Und das, obwohl wir eigentlich sehr unterschiedlich waren. Gleich und gleich gesellt sich gern stimmt eben genauso wie Gegensätze ziehen sich an. In unserem Fall stimmte beides irgendwie. Denn auch wenn wir charakterlich und familiär sehr unterschiedlich waren, es gab noch genug Berührungspunkte, an die wir anknüpfen konnten. So waren wir beide sehr gute Schülerinnen, das Lernen fiel uns leicht und machte Spaß. Mein persönliches Erleben wird nun von einer Studie über Sitzplatznähe und Freundschaft bestätigt.
Experiment mit 3000 Schüler*innen
Der Versuchsaufbau, den die Forschenden der Universität Leipzig, der University of Wisconsin-Madison (USA) und des Center for Social Sciences in Budapest ausgedacht hatten, war denkbar einfach: Sie haben Kinder und Jugendliche im Alter zwischen acht bis 17 Jahren in Klassenzimmern überall in Ungarn zufällig nebeneinander platziert.
Die einzige Bedingung: Ein Schulhalbjahr lang mussten die Schüler*innen nebeneinander sitzen bleiben. Am Ende des Halbjahres wurden sie befragt, wer ihre beste*n Freund*innen sind. Rund 3.000 Lernende haben an dem Experiment teilgenommen und auf diese Weise neue Freundschaften geschlossen.
Nebeneinandersitzen erhöht die Chance auf Freundschaft
Denn das Ergebnis der Studie war, dass Kinder und Jugendliche, die nebeneinander sitzen, sich auch häufiger miteinander befreunden, als wenn sie nur gemeinsam in die gleiche Klasse gehen. In Zahlen ausgedrückt: Die Chance auf eine Freundschaft zwischen Sitznachbar*innen innerhalb einer Klassengemeinschaft stieg von 15 auf 22 %. Das gilt, wenn auch weniger häufig auch für Schüler*innen, die sehr unterschiedlich sind, z. B. in ihren Leistungen.
Heinz- Peter Meidinger bestätigt die Studienergebnisse aus seiner langjährigen Praxis. "Die meisten Ergebnisse dieser Studie decken sich mit den langjährigen Erfahrungen, die Lehrkräfte mit dieser Thematik haben. Kinder und Jugendliche tun sich ja generell leichter damit, Freundschaften zu schließen, als Erwachsene. Und da liegt es nahe, dass sich natürlich sehr oft aus den Sitznachbarinnen und Sitznachbarn schnell Freundschaften entwickeln. Manche davon halten ja dann ein Leben lang."
Lebenslange Freundschaften starten in der Schulzeit
Fürs Leben war meine Freundschaft mit meiner Sitznachbarin dann leider nicht, aber immerhin bis in meine späten 20er hinein konnten wir diese Freundschaft aufrechterhalten. Ich weiß, dass ich mich selbst auch nicht neben meine beste Freundin gesetzt habe. Sie wurde mir als Sitznachbarin zugeteilt. Und wir bestätigen so die Studie, nämlich, dass auch Sitznachbar*innen Freund*innen werden können, die sich vorher gar nicht auf dem Schirm hatten. Denn als ab Klasse 3 galt: Die Schüler*innen dürfen den Sitzplan selbst bestimmen, da saßen wir natürlich nebeneinander. Wie das in den einzelnen Schulen gehandhabt wird, hängt aber von der Lehrkraft ab.
Sollen Kinder selbst ihren Sitzplatz in der Schule wählen?
"Man muss", sagt Heinz-Peter Meidinger, "unterscheiden zwischen der Situation am ersten Schultag eines Erstklässlers, da empfiehlt es sich schon, dass man als Lehrkraft hier gleich von Beginn an präsent ist und Kindern, die unsicher sind, bei der Sitzplatzsuche hilft, auch mal ermuntert, sich doch dort oder dorthin zu setzen. Oft sind ja da auch noch die Eltern mit anwesend. Anders ist es in höheren Jahrgangsstufen, da sollte sich der Klassenlehrer, die Klassenlehrerin eher raushalten, zumal die meisten Kinder eigentlich schon wissen, neben wem sie sitzen wollen. Es gibt aber auch Ausnahmen, etwa wenn man das Gefühl hat, dass Kinder bei der Sitzplatzwahl ausgegrenzt werden oder wenn man aus den Erfahrungen des letzten Schuljahres weiß, welche Sitznachbarschaften unterbunden werden sollten, weil sie sich z. B. dauernd gegenseitig vom Unterricht ablenken."
Sitzplatz erweitert Horizont
Ab Klasse 6 hieß es für mich: Die Lehrerin bestimmt den Sitzplan und das hat spannenderweise meinen Freundeskreis noch mal erheblich erweitert. Auch wenn der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes ein ganz anderes Modell favorisiert. "Ich bin nach wie vor dafür, die Kinder zunächst ihre Sitzplätze selbst suchen zu lassen. Gute Erfahrungen haben wir aber mit Rotationsverfahren gemacht, das heißt, dass man alle zwei oder drei Monate einen Sitzplatz weiterrückt. Das ist für deutsche Schülerinnen und Schüler am Anfang gewöhnungsbedürftig, es fördert aber die in höheren Jahrgangsstufen nachlassende Neigung, neue Freundschaften zu schließen bzw. einfach mal einen anderen Mitschüler besser kennenzulernen."
Ehrlich gesagt finde ich diese Idee aus heutiger Sicht auch sehr spannend und würde mir wünschen, dass die Schule meiner Tochter diese Idee übernimmt. Denn die macht gerade ganz andere Erfahrungen, die vor allem mit orthopädisch ungesunden Sitzhaltungen einhergehen. Der Unterricht findet nicht frontal statt, sondern die Kinder sitzen in Vierergruppen an Tischen und versuchen zu verfolgen, was vorn an der Tafel vonstatten geht. Mir leuchtet ein, dass das interaktiveren Unterricht ermöglicht, aber ich sehe da schon auch Nachteile.
Frontalunterricht vs Flexibilität
Heinz-Peter Meidinger wirbt in diesen Fällen bei uns Eltern für Verständnis. "Bei der Gestaltung der Sitzordnungen in einer Klasse muss man vielen Anforderungen gerecht werden. Die immer noch übliche Sitzordnung in Bankreihen, vor denen auf der Frontseite des Raums die Lehrkraft agiert, hat nach wie vor viele Vorteile. Kinder müssen sich nicht dauernd verrenken, die Medien wie Tafel, Smartboard oder Filmleinwand sind in
einheitlicher Blickrichtung und auch die Verständlichkeit ist besser, weil die Lehrkraft immer in Richtung der Klasse spricht. Für die Kinder hat das den Vorteil, dass sie sich nicht dauernd verrenken müssen, wenn etwa die Lehrkraft um sie rumgeht oder in der Mitte des Raums steht.
Für arbeitsteiligen Unterricht oder Projekte sollte natürlich die Bestuhlung und die Bankkonstellation umgestellt werden können. Dafür braucht es aber in der Tat relativ große Unterrichtsräume. Die lange Zeit in den Schulbauverordungen geförderten Raumgrößen von weniger als 60 qm lassen so eine Flexibilität der Klassenraumgestaltung aber oft leider kaum zu.
Durchhalten kann manchmal helfen
Flexibilität war in meiner Schulzeit eher nicht so das Thema, ein einmal gewählter Sitzplatz musste bis zum Schuljahresende auch beibehalten werden. DIe Forschenden der Studie kommen aber zu dem Ergebnis, dass das in der Tat auch hilfreich sein kann, denn Freundschaft braucht einfach auch Zeit um sich zu entwickeln. Heinz-Peter Meidunger sieht das ähnlich.
"Wenn zwei, die nebeneinander sitzen, sich nur deshalb auseinandersetzen wollen, weil sie sich gerade in der Pause gewaltig in die Haare gekriegt haben, dann sollte man so einem Spontanwunsch nicht nachgeben. Anders ist es, wenn dahinter eine bewusste Entscheidung steht und auch schon ein gewisser Leidensdruck da ist. Meine persönliche Erfahrung ist, dass so etwas relativ selten vorkommt und dass es dann auch keinen Sinn macht, an der bisherigen Sitzordnung zwanghaft festzuhalten."
Wie wichtig ist Freundschaft im Schulalltag?
Was die Studie nicht untersucht hat, ist der Stellenwert, den Freundschaften in der Schule für den Schulbetrieb haben. Dabei ist der nicht zu unterschätzen. Ich bin davon überzeugt, dass ich nur deswegen so gern zur Schule gegangen bin, weil ich dort soviel Zeit mit meiner besten Freundin und unseren gemeinsamen Freund*innen verbringen konnte. Natürlich gab es auch schwierige Momente, welche Schulzeit kommt schon ohne die aus? Aber die dort geschlossenen Freundschaften, die tragen ich teilweise noch heute durchs Leben.
Das sieht der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes ähnlich: "Die Bedeutung von Freundschaften zwischen Schülern kann gar nicht überschätzt werden, weil sie die Basis bilden für eine gute Klassengemeinschaft und damit auch eine positive Unterrichtsatmosphäre. Dabei ist es aber wichtig, den Blick nicht nur auf die Freundschaften zu richten, sondern auf das Miteinander und den Umgang in einer Klasse insgesamt. Also etwa auch die Frage, ob die Kinder in einer Lerngruppe auch immer den Blick dafür haben, wenn jemand Hilfe oder Aufmunterung braucht. In solch einer positiven Klassenatmosphäre ist es dann auch oft nicht mehr ganz so wichtig, ob ich jetzt den eigentlich angestrebten Sitzplatz neben dem oder der habe, weil man zu fast allen in der Klasse ein gutes Verhältnis hat.
Zur Förderung solch eines Zusammengehörigkeitsgefühls kann man als Lehrkraft
natürlich viel beitragen, etwa durch gemeinschaftsbildende Maßnahmen wie Klassenfahrten oder eben auch immer wieder wechselnde Zusammensetzungen bei der Bildung von Arbeitsgruppen. An meiner ehemaligen Schule hatte jede Klasse in regelmäßigen Abständen so genannte "Zeit für uns"-Stunden, wo man sich als Klasse mit der Klasseleitung oder einer anderen Lehrkraft über das Innenleben der Klasse, Konflikte, geplante Gemeinschaftsprojekte usw. befassen konnte."
Studienergebnisse sollten auch umgesetzt werden
Während ich für diese Kolumne also zurück auf meine Schulzeit blicke, stelle ich fest, wie wichtig die Freundschaften in dieser Zeit waren, wie sehr sie mich bis heute begleiten. Und wie traurig es mich macht, dass solche Studienergebnisse zwar an bestimmten Stellen diskutiert werden, in der breiten Masse aber eher wenig Anwendung finden.
Denn wie viele Eltern kann auch ich leider ein Lied davon singen, dass manche Lehrkräfte einfach ihren jahrelange Stiefel durchziehen und die Bedeutung von Freundschaft für einzelne Schüler*innen aber auch den Klassenverband einfach nicht anerkennen. Dabei heißt es doch immer: Fürs Leben, nicht für die Schule lernen wir.
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