Halbjahreszeugnis gleich Halbjahreszeugnis in Deutschland? Weit gefehlt: Bei kaum einen anderen Thema wird deutlicher, dass Bildung und Schule Ländersache sind. Die wirklich krassen Unterschiede und wie Eltern am besten mit dem "Zwischenstand auf Papier" umgehen sollten, haben wir mit Anja Bensinger-Stolze besprochen. Sie ist Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und für den Organisationsbereich Schule verantwortlich.
So unterschiedlich sehen Halbjahreszeugnisse in Deutschland aus
Bei den Halbjahreszeugnissen hat man so ein bisschen das Gefühl: Alles kann, nichts muss. Zumindest, wenn man sich die Zeugnisse bundesweit anschaut. Da gibt es zum Beispiel Länder, die geben ausschließlich ganze Noten. In anderen sind auch Notentendenzen (Plus und Minus) oder halbe Noten zum Halbjahr zulässig.
In Grundschulen (Klasse 1 und 2) wird das klassische Halbjahreszeugnis in Notenform in einigen Bundesländern auch durch ein Zeugnis in Berichtform ersetzt. Und manchmal durch ein Lernentwicklungsgespräch mit Eltern und Schüler*innen ergänzt. Weit verbreitet im Land, aber auch nicht überall Usus, ist es, neben den Ziffern-Noten auch schriftliche Kommentare oder Bemerkungen im Halbjahreszeugnis zu formulieren.
Ein Kommentar der Lehrkraft im Halbjahreszeugnis sollte auf jeden Fall auch ein Lob sein, wenn sich eine Schülerin / ein Schüler zum Beispiel besonders angestrengt oder sogar verbessert hat in einem Fach. Hilfreich für Schülerinnen, Schüler und Eltern sind natürlich darüber hinaus konkrete Vorschläge und Strategien, um das Kind bestmöglich zu unterstützen.
Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule
Und auch die unter Expert*innen diskutierten Kopfnoten sind in einigen Bundesländern immer noch im Halbjahreszeugnis zu finden – natürlich mit unterschiedlichen Notenskalen. Dazu Anja Bensinger-Stolze: "Kopfnoten für soziales Verhalten sind nicht sinnvoll. Auffälligkeiten im sozialen Verhalten sollten angesprochen und über Lösungen beraten werden. Es soll ja nicht der Mensch beurteilt werden. Vielmehr geht es darum, wie sich eine Schülerin oder ein Schüler in den Unterricht einbringt oder Lernfortschritte anbahnt. Für mich gehört das ebenso wie die mündliche und praktische Mitarbeit in die Note des jeweiligen Faches!"
Wann gibt es das Halbjahreszeugnis?
Auch die Frage, wann euer Kind sein Halbjahreszeugnis genau bekommt, hängt davon ab, in welchem Bundesland es zur Schule geht. Es gibt nämlich keinen deutschlandweit einheitlichen Termin dafür. Der grobe Fahrplan: Die Halbjahreszeugnisse werden ungefähr nach der Hälfte des Schuljahres, also in der Zeit von Mitte Januar bis Mitte Februar verteilt.
Fragt bei eurer Schule nach!
Wenn ihr wissen wollt, welche Noten bei euch im Halbjahreszeugnis vergeben werden oder wie sie zum Jahreszeugnis zählen, wendet euch am besten direkt an die Schule eures Kindes. Die Schulleitung, die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer können euch das am besten erklären.
Wie viel zählt das Halbjahreszeugnis?
Eins mal vorne weg: Das Halbjahreszeugnis ist ein amtliches Papier und damit ein echtes Zeugnis. Ob und wie die Noten daraus aber für das Abschlusszeugnis zählen, das unterscheidet sich in Deutschland (selbstverständlich) wieder von Bundesland zu Bundesland. "Im Norden ist es oft so, dass ab dem Halbjahreszeugnis einfach neu gezählt wird, zumindest bis zur Klassenstufe 8. Da gibt es also einen richtigen Neustart. Im Süden werden die Noten aus dem ersten Halbjahr oft mit einberechnet in die Bewertung am Schuljahresende", ordnet Anja Bensinger-Stolze ein. Und was ist, wenn ein Fach nur im ersten Halbjahr unterrichtet wurde? Dann wird die Note vom Halbjahreszeugnis ins Jahreszeugnis übertragen.
Auch die Grundschulempfehlung in Klasse 4 kann sich übrigens an den Noten des Halbjahreszeugnisses orientieren, so ist es beispielsweise in Baden-Württemberg: Ein Notendurchschnitt in den Fächern Deutsch und Mathematik von 2,5 oder besser reicht für die (nicht bindende) Empfehlung fürs Gymnasium. Ab 3,0 oder besser wird die Realschule empfohlen. Wer schlechter ist bekommt die Grundschulempfehlung für die Werkrealschule/Hauptschule.
Oft ist es außerdem notwendig, sich für Praktika oder Ausbildungsplätze mit dem Halbjahreszeugnis zu bewerben. Einfach weil die Verfahren der Unternehmen meist schon recht früh im Jahr starten. Die Vergleichbarkeit von Bewerber*innen aus unterschiedlichen Bundesländern dürfte auf dieser Basis aber nicht ganz so einfach sein.
Warum gibt es überhaupt ein Halbjahreszeugnis?
Einmal aufatmen bitte: Die Intension, die hinter dem Halbjahreszeugnis steht, ist in ganz Deutschland gleich. In der Mitte des Schuljahres soll ein Überblick über den Lernstand in den einzelnen Fächern gegeben werden. "Neben den Rückmeldungen, die Lehrkräfte regelmäßig im laufenden Halbjahr geben, ist der Zwischenstand auf Papier für einige Kinder und Jugendlichen sehr wichtig, aber natürlich auch für die Eltern", erläutert Anja Bensinger-Stolze. "Für die Schülerinnen und Schülern sowie die Erziehungsberechtigten kann das Halbjahreszeugnis dann Anlass sein für ein (gemeinsames) Anschluss- oder auch ein Lernentwicklungsgespräch mit der Lehrkraft."
Gemeinsam über mögliche Defizite oder Schwierigkeiten zu sprechen und Lösungswege zu erarbeiten, ist in der Mitte des Schuljahres natürlich viel sinnvoller, als bis zum Ende des Schuljahres damit zu warten. So können Lücken schneller geschlossen, kann Versäumtes zeitnah aufgeholt werden. Aber in solchen Gesprächen mit den Eltern sind nicht immer nur Verbesserungsstrategien für die Kinder an der Tagesordnung:
Ich glaube, manchmal ist so ein Lernentwicklungsgespräch auch einfach wichtig, um den Eltern zu sagen: Es läuft alles okay mit ihrem Kind. Sie können den Druck rausnehmen!
Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied
Wie sollen Eltern mit dem Halbjahreszeugnis umgehen?
Wenn Eltern die Bewertung oder die Noten in einem Fach im Halbjahreszeugnis nicht nachvollziehen können, plädiert Expertin Anja Bensinger-Stolze dafür, zuerst einmal das Gespräch mit Tochter oder Sohn zu suchen. Ganz offen und am besten mit einem positiven Einstieg. Schließlich gibt es ja fast in jedem Zeugnis auch (Mini-)Erfolge zu feiern. Dann lässt sich überleiten zum Problem(fach). Denn: Viele Kinder und Jugendlichen wissen selbst ganz genau, warum da der Wurm drin ist.
"Wenn sich Kinder und Eltern gemeinsam dafür entschieden haben, kann im Anschluss auch das Gespräch mit der jeweiligen Lehrkraft gesucht werden, um zusammen Lösungsstrategien zu entwickeln", schlägt Anja Bensinger-Stolze als nächsten Schritt vor. Und die Lösung sollte nach ihrer Meinung nicht die Anmeldung beim professionellen Nachhilfeinstitut sein. Oft gäbe es auch an Schulen viel Unterstützung in Form von Hausaufgabengruppen oder Lernprojekten. "Toll sind auch ältere Schülerinnen und Schüler, die sich als Mentorinnen und Mentoren zur Verfügung stellen und in einzelnen Fächern helfen."
Und dann gibt es da noch etwas, was der GEW-Fachfrau ganz wichtig ist:
Vielleicht müssen Eltern akzeptieren, dass ein bestimmtes Fach einfach nicht besonders zugänglich ist für Tochter oder Sohn. Dann sollte der Druck herausgenommen und nicht auch noch utopische Noten anvisiert werden. Die Entwicklung sozialer und zwischenmenschlicher Fähigkeiten bei Kindern und Jugendlichen ist nicht in Noten zu fassen. Das aber macht den Menschen am Ende aus!
Natürlich kann schulischer Misserfolg auch ganz andere Gründe haben. Zum Beispiel, wenn ein Kind einen geliebten Menschen verloren hat, gemobbt wird oder mit anderen Ängsten wie zum Beispiel Schulangst kämpft. Da gilt es dann, ganz behutsam nachzufragen und sich bei Bedarf auch Hilfe bei Schulsozialarbeiterinnen und Schulpsychologen zu holen, so der abschließende Tipp der Expertin.
Nach dem ganzen Zeugnisstress habt ihr euch echt eine kleine Pause verdient: Wie wäre es mal wieder mit einem gemütlichen Filmabend? Lasst euch von unseren deutschen Kinder- und Familienfilmen inspirieren:
Oder ihr versucht mal unser Jugendsprache-Quiz. So könnt ihr vielleicht Kommunikationsprobleme mit euren Kindern abbauen.
Bildquelle: Redaktion familie.de, GEW-Foto: Kay Herschelmann