Im Schreiblernprozess schreiben Jungen und Mädchen häufig von rechts nach links oder zeichnen einzelne Buchstaben oder Zeichen umgekehrt. Muss man sich als Eltern Sorgen machen, wenn Kinder spiegelverkehrt schreiben?
Habt ihr eine Schulanfänger*in oder ein wissbegieriges Vorschulkind zuhause, das gerade schreiben lernt? Dann ist euch vielleicht auch schonmal aufgefallen, dass er oder sie einzelne Buchstaben oder Zahlen spiegelverkehrt schreibt oder statt von links nach rechts, von rechts nach links schreibt. Ist das ein Grund sich Sorgen zu machen? Nein, denn das ist eine ganz normale Phase im Schreiblernprozess. Das belegt auch eine Ende 2012 in der Fachzeitschrift "Gehirn und Geist" veröffentliche Studie des französischen Psychologen Jean-Paul Fischer von der Université de Lorraine in Nancy.
Darum schreiben viele Schreibanfänger*innen spiegelverkehrt
Über mehrere Jahre hinweg untersuchten Fischer und sein Team mehrere hundert Vorschulkinder und Erstklässler*innen aus Frankreich. Seine Feststellung: Oft hatten die Kinder bereits die richtige Form eines Buchstabens oder einer Zahl verinnerlicht – nicht aber die korrekte Ausrichtung.
Warum das so ist? Der Psychologe vermutet, dass Schreibanfänger*innen unbewusst Regeln befolgen, die für die große Mehrheit der Zeichen gelten. So öffnen sich ganz viele Buchstaben in unserem Alphabet nach rechts, zum Beispiel C, E, F, G, K, L und S. Eine Ausnahme bildet das J und wird prompt sehr häufig spiegelverkehrt geschrieben. Dasselbe gilt für Ziffern wie 3 oder 7.
Spiegelverkehrt schreiben ist kein Zeichen von Konzentrationsproblemen
Interessant: Auch wenn die Kinder durch weitere Aufgaben abgelenkt wurden, häufte sich das spiegelverkehrt schreiben nicht. Daraus zogen Fischer und seine Mitarbeiter den Schluss, dass diese "Fehler" nicht aus mangelnder Aufmerksamkeit oder Problemen bei der Konzentration resultieren. Bei Schüler*innen, die vermehrt spiegelverkehrt schreiben, erkannten die Wissenschaftler auch keinen Zusammenhang zu schlechten schulischen Leistungen oder einer Lese-Rechtschreibschwäche.
Vielmehr kam es darauf an, welches Zeichen die Schreibanfänger*in zuvor geschrieben hatte. Ein Beispiel von Fischer: Würde ein Kind die Ziffer 6 korrekt zu Papier bringen, dann sei ein darauf folgendes J oft verdreht worden. Und andersherum.
Kein Zusammenhang zwischen spiegelverkehrt schreiben und Linkshändern
Ein bekannter Mythos in Bezug aufs spiegelverkehrt Schreiben lautet, dass vor allem Linkshänder betroffen sind. Oder unentdeckte Linkshänder, die zum Rechtshänder "umerzogen" wurden. Das können die Forscher um Fischer nicht bestätigen: Es gäbe so gut wie keinen Unterschied zwischen Rechts- und Linkshändern.
Spiegelverkehrt schreiben: So kann man sein Kind unterstützen
Euer Kind schreibt häufig spiegelverkehrt? Wie gesagt, das ist kein Grund zur Sorge! Bei den allermeisten Schüler*innen ist das Phänomen vorbei, wenn der Prozess der Lesen- und Schreibenlernens abgeschlossen ist. Ein paar Dinge könnt ihr trotzdem tun, um die richtige Schreibweise zu trainieren.
- Das Kind schreibt häufig von rechts nach links? Markiert auf dem Blatt einfach den Punkt, wo das Wort starten soll.
- Ist euer Kind fertig mit dem Schreiben eines Textes, dann geht ihn noch einmal gemeinsam durch und zeigt ihm, wo spiegelverkehrte Buchstaben sind. Mit der Zeit wird es verinnerlichen, bei welchen Zeichen es besonders aufpassen muss.
- Hängt über dem Schreibtisch ein Poster mit den Buchstaben und Zahlen auf. So kann es, wenn es sich unsicher ist, daran orientieren.
Falls euer Kind auch noch in der dritten oder vierten Klasse spiegelverkehrt schreibt, könnt ihre euch an euren Kinderarzt oder eure Kinderärztin wenden. Sollte wirklich Handlungsbedarf bestehen, wird sicher auch die Lehrer*in eures Sohnes oder eurer Tochter auf euch zukommen.
Euer Nachwuchs kommt zur Schule? Hier findet ihr hilfreiche Tipps zur Einschulung:
Quellen:
Spektrum.de
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