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Die traurigen Folgen des Hebammenmangels

Gewalt im Kreißsaal
© Thinkstock

Misshandlung im Kreißsaal! Geschichten wie diese von Anna machen Angst. Aber es ist gut, dass es sie gibt. Denn wir müssen wirklich mehr über solche Missstände reden. Wir müssen darüber reden, wie sehr der Hebammenmangel allen Frauen schadet - seelisch und manchmal sogar körperlich.

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Alleine gelassen mit den Schmerzen. Alleine mit den quälenden Gedanken, ob es dem Baby gut geht. Niemand hilft ihr. Dabei ist Anne im Krankenhaus. Es ist ihr erstes Kind. Und es will jetzt auf die Welt kommen. Doch keiner glaubt ihr. Kein Arzt und keine Hebamme hat Zeit für Anne. Als sie endlich im Kreißsaal ist, presst sie noch ein, zwei Mal, dann ist ihre Tochter auch schon da. Es geht ihr gut. „Es hätte eine Traumgeburt werden können – wenn ich ernst genommen worden wäre“, sagt Anne. Wenn jemand für sie da gewesen wäre.

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Geschichten wie ihre sind kein Einzelfall. Immer wieder hören und lesen wir von Frauen, die von zum Teil traumatisierenden Geburtserlebnissen berichten. Oft wird sogar von Gewalt gesprochen – von psychischer und physischer Gewalt im Kreißsaal. Gott sei Dank trauen sich inzwischen immer mehr Mütter, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Auch Anne. Und das ist gut so! Denn wir müssen wirklich mehr darüber sprechen.

Traumatisierende Geburtserlebnisse

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Geburtsberichte von Frauen auf der ganzen Welt gesammelt, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Es sind „Berichte über (…) körperliche Misshandlung, tiefe Demütigung und verbale Beleidigung, aufgezwungene oder ohne ausdrückliche Einwilligung vorgenommene medizinische Eingriffe (…), Missachtung der Schweigepflicht, Nichteinhaltung der Einholung einer vollumfänglich informierten Einverständniserklärung, Verweigerung der Schmerzbehandlung, grobe Verletzung der Intimsphäre, Verweigerung der Aufnahme in medizinische Einrichtungen, Vernachlässigung von Frauen unter der Geburt …“

Wir lesen von körperlicher Misshandlung, Beleidigung und Demütigung und unser innerer Angsthase schlägt panisch Haken. Das kann doch nicht wirklich sein? Leider ist Gewalt gegen Frauen in vielen Ländern immer noch Alltag. In Deutschland leben wir sicherer. Doch auch hier gibt es Fälle, bei denen Frauen während der Geburt vorsätzlich verletzt wurden. Derzeit steht zum Beispiel eine Münchner Hebamme wegen mehrfachen versuchten Mordes vor Gericht. Sie soll Frauen vor Kaiserschnittgeburten blutverdünnende Medikamente verabreicht haben und habe sie damit in Lebensgefahr gebracht. Das sind alles traurige Wahrheiten, die nicht kleinzureden sind. So etwas darf nicht passieren! Und unser Mitleid gilt all jenen Müttern, die das erleiden mussten.

Allerdings ist es ganz wichtig, an dieser Stelle zu differenzieren. Die WHO trennt Misshandlung lediglich mit einem Komma von Vernachlässigung und Zurückweisung: ein gefährlich weit gespannter Bogen. Natürlich sind auch Vernachlässigung und Zurückweisung zu verurteilen. Aber hier allen Ärzten und Hebammen böse Absicht und Vorsatz zu unterstellen, wäre falsch. Denn das sind Probleme, die zu großen Teilen vor allem dem chronischen Personalmangel in unseren Kreißsälen geschuldet sind. Überlastung, Doppelschichten, kaum noch freie Kapazitäten und Fließband-Geburten: Vor all dem warnt der Deutsche Hebammenverband (DHV) schon lange. Und eine Entlastung der Situation ist nicht in Sicht. Es wird eher noch schlimmer.

Hebammenmangel verschärft sich

Der Deutsche Hebammenverband hat Ende 2015 eine repräsentative Umfrage von rund 1.700 Hebammen in Kliniken beauftragt, mit erschütternden Ergebnissen: 95 Prozent unserer Hebammen betreuen bei der Geburt häufig zwei oder sogar mehr Frauen parallel. Dazu arbeiten sie immer häufiger in Doppelschichten, machen regelmäßig Überstunden und lassen Pausen ausfallen. Nur so können sie die Personalengpässe ausgleichen. Bereits seit Jahren werden Geburtshelferstellen in Kliniken oft nicht mehr nachbesetzt. Dass kaum noch eine Hebamme Zeit hat, eine Frau während der gesamten Geburt in Ruhe zu betreuen, ist die traurige Konsequenz daraus. Ebenso, dass die wichtige Empathie dem Stress irgendwann zum Opfer fällt. Deshalb mahnt Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands e. V.: „Qualität und Sicherheit in der Geburtshilfe ist nur mit ausreichend Personal möglich.“

Doch so lange der Klinikbetrieb der Kreißsäle noch irgendwie aufrechterhalten werden kann, fühlt sich niemand zum Handeln gezwungen. „Obwohl viele Regierungen, Berufsverbände, Bürgerbewegungen und Gemeinschaften weltweit bereits auf die Notwendigkeit hingewiesen haben, sich dieses Problems anzunehmen, (…) sind in vielen Fällen politische Maßnahmen zur Unterstützung einer wertschätzenden Versorgung (…) noch nicht in sinnvolle Handlungen umgesetzt worden.“, betont auch die WHO. Leidtragende sind alle schwangeren Frauen, ist Anne, sind wir. Wir leiden unter dem Zeitmangel der Hebammen. Wir fühlen uns missachtet und ausgenutzt. Unser Vertrauen wurde ausgenutzt. Das Vertrauen in die, die uns eigentlich in diesem wehrlosen Moment unterstützen sollten. Und ja, deswegen fühlen wir uns auch um ein schönes Geburtserlebnis betrogen –ein Recht, das jeder Frau auf dieser Welt zustehen sollte! Manche Frauen sind durch diese Erlebnisse traumatisiert und tragen seelische Narben davon.
All das macht wütend und traurig. Und allen Noch-Nicht-Mamas macht das Angst. Deswegen ist es so wichtig, darüber zu sprechen! Aber bitte richtig. Es besteht die Gefahr, jetzt falsche Ängste zu schüren und Erstgebärende damit zusätzlich zu verunsichern. Überall auf der Welt gibt es viele Hebammen und Ärzte, die einen großartigen Job leisten. Ihnen allen würden wir großes Unrecht tuen, wenn wir unreflektiert über Gewalt und Missbrauch sprechen. Es gibt große Probleme in der Geburtshilfe. Und es muss sich dringend etwas ändern. Vielleicht ist es inzwischen sogar notwendig, diese brutalen Worte zu verwenden, um die Tragweite der Probleme zu verdeutlichen, um gehört zu werden, um endlich ein Handeln zu erzwingen. Dennoch sollte man die Kraft der Worte nicht unterschätzen und sie nicht leichtfertig einsetzen. Gewalt in der Geburtshilfe gibt es leider wirklich, aber wir haben Gott sei Dank "nur" gewaltige Probleme in der Geburtshilfe!

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