Nicht nur zu früh geborene Kinder haben einen schweren Start ins Leben. Auch für die Eltern kann eine Frühgeburt traumatisch sein. Psychologische Betreuung bekommen die wenigsten von ihnen.
Mein Sohn kam in der 34. Schwangerschaftswoche. Vom ersten Moment an wurde er bestens medizinisch versorgt. Ich funktionierte, pendelte, schon wenige Stunden nach der Entbindung zu Fuß zwischen Neoantologie und meinem eigenen Krankenzimmer zwei Etagen tiefer. Ich versuchte Milch zu pumpen, sprach mit den Ärzten. Über mein Kind. Kein Wort zu mir.
Als ich zwei Tage nach der Geburt ohne meinen Sohn entlassen werden sollte, setzte ich alles dafür ein, dass wir zusammen in ein Kinderkrankenhaus umziehen konnten, das ein Mutter-Kind-Zimmer frei hatte. Dort angekommen brach ich zusammen.
Wir hatten Glück im Unglück.
Mein Sohn war ein sogenanntes "spätes Frühchen". Er musste nicht beatmet werden, sein Überleben stand nie infrage. Trotzdem war ich nicht nur körperlich am Ende meiner Kräfte angekommen. Der berühmte Postpartum Blues traf auf Heimweh, ein ungemütliches Krankenhauszimmer und ein Baby, das bei jeder Fütterung einschlief und rund eine Stunde brauchte, um die vorgeschriebenen 25 ml pro Mahlzeit zu trinken. Dazu unbeschreibliche Nachwehen und der erste Milchstau.
Die Pflegerinnen konnten mir nicht helfen. Sie seien alle Kinderkrankenschwestern und ich ja schließlich Begleitperson und keine Patientin. Meine Hebamme war kaum zu erreichen und schrieb, ich solle mich melden, wenn wir zu Hause wären. Mein Mann hörte mir zu, doch auch er war gerade zum ersten Mal Vater geworden, mindestens ebenso überrascht und überfordert von der Frühgeburt wie ich. Er fühlte sich viel zu sehr in der Verantwortung, um mir neutral zuhören zu können. Wir waren nicht die Einzigen auf der Station, die viel weinten. Obwohl unser Sohn langsam aber stetig zunahm und sein Leben niemals in Gefahr war.
Ich hätte jemanden zum Reden gebraucht
Jemandem, der meine Enttäuschungen versteht. Das im Nachhinein vielleicht alberne Gefühl, dass mir etwas Einmaliges genommen wurde. Mein Mutterschutz hatte noch nicht begonnen. Wir waren gerade umgezogen und ich hatte mich auf die nächsten sechs Wochen gefreut, in denen ich das Kinderzimmer herrichten und in Ruhe immer dicker werden wollte. Expert*innen sprechen von dem Gefühl, aus der Schwangerschaft gefallen zu sein. Genau so ging es mir. Eine Schwangerschaft ist schließlich nicht nur eine Zeit der Entwicklung für das Baby, sondern auch für uns Eltern. Wie unser Baby waren auch wir noch nicht reif.
Wie unser Baby waren auch wir noch nicht reif.
Ich hätte gern mit jemandem darüber gesprochen, dass ich mich auf eine gemütliche Stillzeit gefreut hatte. „Machen sie es ihm nicht zu kuschelig, sonst schläft er ein“, hieß es stattdessen. Ich sollte mein Baby bei möglichst viel Licht füttern und durch Streicheln und Wickeln wach halten, damit er seine Mini-Portiönchen schaffte. Unser Ziel: 2500 Gramm Körpergewicht und 5 Mahlzeiten hintereinander ohne Magensonde. Erst dann durften wir nach Hause. Der Druck war immens, der Rückschlag unbeschreiblich, wenn die vierte Mahlzeit dann doch wieder nur mit Hilfe des Schlauchs in seinem kleinen Magen landete.
Ich hatte Sehnsucht nach Normalität und furchtbare Schuldgefühle
Alle vier Stunden musste ich meinen Sohn wecken und füttern. Wickeln, Milch pumpen. Zeit zu schlafen blieb kaum. Den anderen Müttern ging es ähnlich. Angst um das Baby. Das Gefühl, in der Schwangerschaft versagt zu haben. Angst vor dem, was vor uns liegt. Angst vor dem Alarm des Monitors, den vielen Schläuchen und Kabeln. Der Magensonde, Infusionsschläuchen, die in nicht am Arm, sondern am Kopf gelegt wurden.
Inzwischen ist bewiesen, dass Mütter von Frühgeburten ein erhöhtes Risiko haben, psychisch zu erkranken. Und selbst, wenn es dazu nicht kommt, gut geht es niemandem in dieser Situation. Trotzdem ist psychologische Betreuung der Eltern auf den Neoantologie noch lange nicht die Regel, anders als zum Beispiel auf der Kinderonkologie. Dabei ist gerade die psychische Gesundheit der Eltern so wichtig, auch für den Aufbau einer stabilen Bindung.
Hört uns zu!
Für Freunde und Angehörige ist es furchtbar schwierig, nach einer Frühgeburt die richtigen Worte zu finden. Ich wollte keine guten Ratschläge. Zuhören und kleine Gesten halfen dafür umso mehr. Meine Tante schickte mir ihre Zugangsdaten zu einem Streamingdienst um mich abzulenken. Ohne weiteren Kommentar. Ich liebte es. Von einer Freundin bekam ich eine Karte "Speed does not matter, forward is forward". Ich habe sie bis heute, sie gab mir so viel Kraft. Doch am meisten vermisst habe ich professionelle Hilfe.
Bildquelle: Getty Images/metinkiyak