Vielen Frauen fehlt nach einem Kaiserschnitt etwas, was sie häufig als „wahres Geburtserlebnis“ bezeichnen. Deshalb wünschen sie sich für ihr nächstes Kind eigentlich eine natürliche Geburt. Doch aus Angst vor Komplikationen entscheiden sich immer noch die meisten Frauen dagegen. Und auch viele Geburtshelfer zögern.
Einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt!?
Anfang der 1990er Jahre waren es nur rund 15 Prozent aller Geburten, bis 2014 hat sich die Zahl verdoppelt: Etwa jedes dritte Kind kommt heute per Kaiserschnitt zur Welt. Häufigste Ursache dafür: ein früherer Kaiserschnitt.
Einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt– diese überholte Weisheit hält sich noch immer hartnäckig in den Köpfen schwangerer Frauen und teilweise auch in denen von Hebammen und Ärzten. Nicht ganz zu Unrecht, soviel steht fest. Die größte Sorge: Die Narbe an der Gebärmutter könnte der Belastung einer vaginalen Geburt nicht standhalten und reißen. Und eine solche Uterusruptur kann für Mutter und Kind dramatische Folgen haben und tödlich enden. Dieses Risiko ist also auf keinen Fall auf die leichte Schulter zu nehmen.
Doch die Wahrscheinlichkeit, dass es wirklich so weit kommt, wird zum Teil selbst von den Medizinern als zu hoch eingeschätzt. Nur bei etwa sieben von 1.000 vaginalen Geburten nach einem früheren Kaiserschnitt treten die gefürchteten Komplikationen auf. Das Risiko liegt bei 0,75 Prozent1. Es ist damit zwar um ein vielfaches höher als für Frauen ohne vorangegangene Schnittentbindung (0,005 – 0,02 Prozent). Dennoch zeigt es sich so gering, dass die Londoner Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (RCOG) die vaginale Entbindung nach einem früheren Kaiserschnitt als sicher einstuft2.
Ultraschall kann persönliches Risiko abschätzbar machen
Das klingt rein von den Fakten her doch ganz gut für eine natürliche Geburt nach einem Kaiserschnitt, oder? Ist man jedoch selbst betroffen, fühlt sich das statistische Minimalrisiko natürlich sehr viel bedrohlicher an. Und deshalb entscheiden sich auch zwei Drittel der Schwangeren direkt für einen geplanten Kaiserschnitt, auch wenn sie es sich vielleicht anders wünschen würden.
Eine Studie von englischen und belgischen Wissenschaftlern könnte die Trendwende einläuten und in Zukunft mehr Medizinern und Frauen den Mut zur natürlichen Geburt geben. Sie kamen zu dem Schluss, dass der Arzt mithilfe eines Vaginal-Ultraschalls der Gebärmutternarbe zwischen der 19. und 22. SSW ziemlich genau vorhersagen kann, ob eine natürliche Geburt erfolgreich verlaufen wird3. „Damit wird eine recht gute Risikoabschätzung möglich“, erklärt Professor Dr. Ulrich Gembruch, Leiter der Abteilung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin am Universitätsklinikum Bonn. „Wenn die Muskelwand stark genug ist und im Verlauf der Schwangerschaft nicht wesentlich abnimmt, kann selbst bei einer größeren Narbe eine vaginale Entbindung versucht werden“, so der Experte der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM). Aber: „Die Ergebnisse und damit die Sicherheit der Vorhersage sind in hohem Maße von der Einhaltung standardisierter Untersuchungsbedingungen und der Erfahrung der Ärzte abhängig“, betont DEGUM-Vorstandsmitglied Professor Dr. Annegret Geipel.
Die Entscheidung liegt bei der Mama
Die Entscheidung für oder gegen eine vaginale Geburt nach vorherigem Kaiserschnitt liegt letzten Endes bei der werdenden Mutter. Niemand kann es betroffenen Frauen verdenken, wenn sie sich aus Sorge für den geplanten Kaiserschnitt entscheiden. Doch auch ein Kaiserschnitt birgt Risiken und Nachteile, die Schwangere leider gerne mal vergessen. Dazu zählen zum Beispiel Infektionen, eine längere Wundheilung oder Thrombosen. Zudem kann das Narbengewebe der Gebärmutter bei einer weiteren Schwangerschaft zu Problemen mit der Plazenta führen, die zum Beispiel ungünstig daran festwächst und dann zu nah am Muttermund liegt (Placenta praevia). Jeder weiterer Kaiserschnitt hebt zudem das Risiko eines Gebärmutterrisses bei einer späteren vaginalen Geburt weiter an.
Wichtig für die Entscheidung für oder gegen eine natürliche Geburt ist das umfassende Gespräch mit dem Arzt. Es muss geklärt werden, warum die vorangegangene Geburt eine Schnittentbindung war und wie die aktuelle Schwangerschaft verläuft. Manche Umstände machen einen weiteren Kaiserschnitt unumgänglich oder zumindest ratsam, wie etwa ein besonders großes Kind oder eine problematisch sitzende Plazenta. „Wenn aber Mutter und Baby gesund sind und die Mutter sich fit fühlt, wenn das Narbengewebe fest ist, wenn mit der Plazenta alles in Ordnung ist, ist eine natürliche Geburt möglich.“, fasst es Prof. Dr. phil. Mechthild Groß, Hebamme an der Medizinischen Hochschule Hannover, auf dem 27. Deutschen Kongress für Perinatale Medizin zusammen. „Und wir denken, dass das häufiger der Fall ist als in der Geburtsmedizin bisher angenommen wird."4
Quellen:
1 - Pressemitteilung der DEGUM (25.04.2013)
2 - News Deutsches Ärzteblatt (14.03.2012)
3 - Studie: "Predicting successful vaginal birth after Cesarean section ..." (2013)
4 - Pressemitteilung DGPM (03.12.2015)
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