Wenn du die Geburt deines Kindes als dramatisch erlebt hast und auch lange danach noch als belastende Erfahrung empfindest, leidest du vielleicht unter einem Geburtstrauma. Der Roses Revolution Day am 25. November soll das Thema Gewalt bei der Geburt und Geburtstrauma (nicht nur an diesem Tag) stärker in die Öffentlichkeit rücken.
Seien wir ehrlich: die Wenigsten von uns freuen sich auf die Geburt. Darauf endlich unser Baby im Arm zu halten: Ja! Aber auf die eigentliche Geburt? Wohl eher nicht. Das liegt zum Teil daran, dass wir in der Schwangerschaft viel zu oft – gern, ohne dass wir darum gebeten hätten – gruselige Geburtsstorys zu hören bekommen. Außerdem ist eine Geburt in den meisten Fällen nun einmal kein Spaziergang, sondern natürlicherweise mit Wehen-Schmerz und anderen unangenehmen Erfahrungen verbunden. Das ist nicht schön, führt aber nicht unbedingt zu einem Geburtstrauma. Leider erleben manche Mütter jedoch zusätzlich Gewalt im Kreißsaal oder werden durch die Entbindung mit bereits vorhandenen Traumata konfrontiert, was dann zu einem sogenannten Geburtstrauma führen kann.
Wie viele Frauen sind von einem Geburtstrauma betroffen?
Von einem Geburtstrauma spricht man, wenn Mütter nach der Geburt durch Vorkommnisse im Kreißsaal dermaßen traumatisiert sind, dass sie davon psychische und physische Probleme entwickeln. In vielen Fällen führt das traumatische Geburtserlebnis dazu, dass Mütter sich unter keinen Umständen mehr vorstellen können, noch ein weiteres Kind zu bekommen – selbst wenn sie sich dieses eigentlich wünschen.
Der Verein Schatten & Licht aus Augsburg, der Frauen u. a. im Zusammenhang mit durch die Geburt hervorgerufenen psychischen Erkrankungen berät, gibt eine Zahl von jährlich ca. 100.000 Frauen an, die von sogenannten peripartalen psychischen Erkrankungen betroffen sind.
Wie zeigt sich ein Geburtstrauma nach der Geburt?
Nicht immer ist ein Geburtstrauma für Neumamas als solches zu erkennen. Tatsächlich können die Grenzen zwischen Geburtstrauma und postnataler Depression fließend sein. Wenn du deine Geburt jedoch konkret mit bestimmten negativen Erlebnissen oder Gefühlen verbindest, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass du ein Geburtstrauma erlitten hast. Folgende Symptome können ein Hinweis auf ein Geburtstrauma sein:
- Völlige Erschöpfung Ja, es ist normal als Neumama erschöpft zu sein, aber hier geht die Müdigkeit tiefer und verschwindet mit ausreichend Schlaf nicht.
- Du hast Flashbacks (in passenden und unpassenden Momenten), die dich mit Gänsehaut oder einem negativen Gefühl zurück in deine Geburtssituation versetzen.
- Du musst viel weinen, wenn du an die Geburt zurückdenkst. Eine erhöhte Emotionalität, auch Babyblues genannt, ist nach der Geburt normal, sie ist in der Regel aber nicht (nur) mit der Geburtserinnerung verknüpft.
- Du bekommst die Geburt nicht aus dem Kopf und musst immer wieder an das Erlebte denken, immer mit einem negativen Empfinden.
- Du hast Schwierigkeiten mit körperlicher Nähe oder Berührungen, die du vor der Geburt nicht hattest.
- Du fühlst nichts, weder für dein Baby, noch für dich selbst oder deinen Partner. Deine Emotionen haben sich völlig oder fast vollständig von dir separiert.
- Du hast Panikattacken, die mit einem Gefühl der Machtlosigkeit einhergehen und sich auch deutlich in körperlichen Reaktionen zeigen.
Wodurch kann ein Geburtstrauma ausgelöst werden?
Es gibt viele verschiedene Geschehnisse bei Geburt, die ein Geburtstrauma hervorrufen können. In fast allen Fällen spielt dabei Gewalt und Rücksichtslosigkeit gegenüber der Gebärenden eine Rolle. Die meisten Frauen beschreiben dabei ein Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertsein – sie fühlen sich nicht ernst genommen und gehört. Oft wird während der Geburt über den Kopf der Frau hinweg entschieden, als wäre sie gar nicht anwesend, hätte kein Mitspracherecht oder könne nicht richtig urteilen.
Dabei geht es während der Geburt um unseren Körper, wir sind unmittelbar betroffen und sollten auch während wir unser Baby gebären, jederzeit uneingeschränkt das Bestimmungsrecht über unseren Körper haben. Viele Frauen berichten im Zusammenhang mit ihrem Geburtstrauma, dass ihnen genau dieses Recht genommen wurde. Sie wurden nicht gefragt, bevor irgendwelche Maßnahmen ergriffen wurden, teilweise wurden sie sogar absichtlich überhört oder gar in aggressiver Weise zurechtgewiesen.
Natürlich kann es bei Geburten immer zu Notfallsituationen kommen, in denen schnelles Handeln durch Ärzte und Geburtshelfer nötig ist, um das Leben von Mutter und Kind nicht zu gefährden. Aber auch in solchen Momenten sollten wir Mütter immer über die notwendigen folgenden Schritte aufgeklärt werden – wir wollen wissen, was mit uns, unserem Körper und unserem Baby als Nächstes gemacht wird. Alles andere kann zu einem Geburtstrauma führen.
Diese Erfahrungen können zu einem Geburtstrauma führen
Es gibt viele verschiedene Vorkommnisse bei Geburt, die ein Geburtstrauma auslösen können:
- Körperliche Gewalt gegenüber der Gebärenden: Egal, ob die Gewalt während der Geburt mit Absicht oder unwissentlich ausgeübt wird, es kann für werdende Mamas extrem traumatisierend sein, wenn sie während des Geburtsvorgangs das Gefühl haben, dass ihnen Gewalt angetan wird. Beispiele dafür sind, dass ihr (ohne zu fragen) heftig auf den Bauch gedrückt wird, um den Geburtsprozess voranzutreiben, ihr Muttermund künstlich geweitet wird oder es zu einem ungefragten, eventuell zu langen Dammschnitt kommt, etc.
- Psychische Gewalt bei der Geburt: Viele traumatisierte Mütter berichten, dass sie von Ärzt*innen und Hebammen verbal angegriffen wurden, z. B. mit Aussagen wie “Jetzt stellen Sie sich nicht so an!” oder “Jetzt übertreib mal nicht und hör auf zu schreien!”
- Versäumte Einverständniserklärung: In viel zu vielen Fällen berichten Mütter davon, dass sie während der Geburt nicht über folgende Eingriffe aufgeklärt bzw. sie nicht nach ihrer Zustimmung gefragt wurden. Auch während der Geburt sind wir erwachsene Frauen und wollen als solche behandelt werden. Natürlich gibt es Notfälle, in denen schnelles Handeln gefragt ist. Aber in allen anderen Fällen wollen wir gefragt werden, wenn irgendjemand etwas machen möchte, das an oder in unserem Körper stattfindet.
- Schwere, körperlich und psychisch anstrengende Geburt: Auch wenn uns bei der Geburt ein wunderbares Team aus Ärzten und Hebammen zur Seite stand, kann es zu einem Geburtstrauma kommen, wenn es sich einfach um eine besonders dramatische Geburt gehandelt hat oder diese als solche von der Mutter wahrgenommen wurde. Dabei spielt es keine Rolle, ob andere Anwesende (Partner, medizinisches Personal, etc.) dies auch so sehen. Hier zählt nur, wie du die Geburt empfunden und erlebt hast.
Geburtstrauma durch zurückliegende Traumata
In einigen Fällen löst die Geburt ein Geburtstrauma aus, das auf ein Trauma zurückgeht, das in uns geschlummert hat und durch die Geburt an die Oberfläche geholt wurde, obwohl die Geburt selbst eventuell ohne negative Vorkommnisse verlief. Dies kann z. B. bei Opfern von sexuellem Missbrauch der Fall sein. Während der Geburt sind wir Mütter in einer exponierten Situation, in der wir größtenteils unbekleidet sind und fremde Menschen uns an sehr intimen Stellen anfassen. Das kann bereits für Frauen ohne eine Vorgeschichte mit sexuellem Missbrauch traumatisch sein. Bei Frauen, die jedoch schon einmal Opfer sexueller Gewalt waren, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es durch die Geburt zu einem Geburtstrauma kommt.
Was tun, wenn du unter einem Geburtstrauma leidest?
Wenn du unter einem Geburtstrauma leidest, solltest du dir unbedingt Hilfe suchen. Es ist sehr schwer, eine solche Erfahrung alleine zu verarbeiten – dabei spielt es keine Rolle, ob dein Geburtstrauma durch eine traumatische Geburt (mit oder ohne Fremdverschulden) oder ein zurückliegendes Trauma ausgelöst wurde. Niemand sollte so etwas alleine durchstehen müssen.
Als erste Möglichkeit kannst du Rat bei deiner Frauenärztin oder Hebamme suchen. Reicht dies nicht aus, können diese dich sicher an eine entsprechende Beratungsstelle mit Experten vermitteln. Hilfe bei Geburtstrauma erfährst du auch durch das Frauenhilfetelefon des Bundesministeriums, das 24/7 kostenfrei unter 0800-116 0 16 erreichbar ist. Auch der Verein Schatten & Licht bietet Beratungen im Zusammenhang mit Geburtstraumata an.
Geburtstrauma verhindern: Unsere Tipps
Wenn ein Geburtstrauma auf ein zurückliegendes Trauma zurückgeht, ist es sehr schwer, dieses zu verhindern. Insbesondere, wenn das vergangene Trauma eventuell emotional abgekapselte wurde und Frauen nicht bewusst ist. Wenn du um ein vorliegendes Trauma, z. B. sexuellen Missbrauch in deiner Kindheit, Vergewaltigung, etc. weißt, ist es ratsam, dies mit deinem Umfeld und Frauenarzt zu besprechen und gegebenenfalls bereits vor der Geburt Schritte einzuleiten, um mit der Situation umzugehen.
Für eine selbstbestimmte Geburt und positive Geburtserfahrung ist es wichtig, sich gut auf die bevorstehende Geburt vorzubereiten. Die schließt den Partner oder die Partnerin mit ein, der/die so (nicht nur im Notfall) weiß, was deine Bedürfnisse und Wünsche bei der Geburt sind. Schreibe dir oder schreibt zusammen einen Geburtsplan, den ihr vorab in eurer Klinik hinterlegt und auch besprecht. Wenn euer Geburtsvorbereitungskurs keine Vorlage für einen Geburtsplan bereitstellt, findest du hier eine.
Natürlich können solche Maßnahmen nicht in allen Fällen ein Geburtstrauma verhindern, da leider oftmals das Klinikpersonal großen Anteil an solch einem traumatischen Erlebnis hat oder ein unvorhersehbarer Geburtsverlauf dazu führt. Wer sich vor der Geburt jedoch klarmacht, was er will und was nicht – und dabei auch unerwünscht bzw. unangenehme Szenarien wie z. B. (Not-)Kaiserschnitt, PDA (die man ggf. eigentlich nicht möchte), unfreundliche Ärzt*innen, mangelnde Geburtsbetreuung wegen Personalmangel, etc. durchdenkt – und seinen Partner oder seine Partnerin bzw. Geburtsbegleit-Person dazu befähigt, gemeinsam für die Wunschgeburt einzustehen, kann das Risiko, ein Geburtstrauma zu erleiden, reduzieren.
Auch die bewusste Entscheidung für einen bestimmten Geburtsort, wie Geburtshaus, Hausgeburt, eine bestimmte Klinik (wenn denn möglich) hat einen positiven Einfluss auf die spätere Geburt – auch wenn sich dadurch ein Geburtstrauma natürlich nicht 100 % ausschließen lässt.
Roses Revolution Day: Eine Rose für jedes Geburtstrauma
Am 25. November findet jedes Jahr der Roses Revolution Day statt, an dem Mütter weltweit aufgefordert sind, eine rosafarbene Rose vor dem Eingang zum Kreißsaal niederzulegen, in dem sie Opfer von Gewalt bei der Geburt geworden sind. Damit soll mehr Aufmerksamkeit für dieses Thema geschaffen werden. Denn alle Mütter auf der Welt haben das Recht auf eine gewaltfreie Geburt!