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Interview mit einer Hebamme: Kreißsaal, Geburten und Corona

Hebamme zu Geburt und Corona Jana Friedrich

In diesen Tagen machen sich verständlicherweise viele Schwangere große Sorgen um die bevorstehende Geburt im Kreißsaal in Zeiten von Corona. Wer darf mit in die Klinik, was passiert, wenn ihr ambulant nach Hause gehen wollt? Wir haben über Geburt mit der Hebamme Jana Friedrich und Hannah Elsche vom Verband 'Mother Hood' über die aktuelle Situation gesprochen.

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Wir setzen Hannahs Antworten kursiv, damit es für euch einfacher ist nachzuvollziehen, wer von beiden antwortet.

Muss ich wegen Corona allein in den Kreißsaal?

Viele Schwangere sind wegen Corona verunsichert. Wie ist denn die Lage im Moment, dürfen Partner*innen mit in den Kreißsaal?

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Es darf eine Begleitperson mit, allerdings ist es aktuell wohl so, dass manche Partner*innen erst zur Austreibungsphase der Geburt dabei sein dürfen. Das ist natürlich total schwer abzuschätzen wann die nun ist. Und die Zeit davor ist ja auch total wichtig. Die Empfehlung der WHO sagt, eine Person darf mit in den Kreißsaal genommen werden. Ein ebensolches Statement hat auch der Deutsche Hebammenverband herausgegeben.

Es bleibt aber von Klinik zu Klinik unterschiedlich, momentan kann keine allgemeingültige Aussage getroffen werden.

Hinweis der Redaktion: Wir versuchen das Interview aktuell zu halten, neue Informationen einzufügen. Allerdings ändern sich die Richtlinien häufig. Stand 05. Mai 2020 ist es so, wie Jana Friedrich erklärt, eine Begleitperson darf zur Austreibungsphase bei der Geburt dabei sein. Und doch kann es passieren, dass eure Begleitperson nicht bei der Geburt dabei ist. Oder schon früher dazukommen darf. Es hängt immer von der einzelnen Klinik ab, so dass sowohl die Expertinnen im Interview als auch wir leider keine allgemeingültige Aussage für alle Geburten in allen Kliniken treffen können. Fragt im Zweifelsfall immer in eurem Kreißsaal nach.

Hannah, ihr seid ja bundesweit aktiv und vernetzt, was kannst du berichten? Dürfen Begleitpersonen zur Geburt in Zeiten von Corona mit in den Kreißsaal?

Das variiert zur Zeit leider sehr stark und ist abhängig von den einzelnen Krankenhäusern. Es kann sich jederzeit auch wieder ändern, sowohl zum Negativen,  aber auch durchaus zum Positiven. So haben glücklicherweise ein paar Krankenhäuser, wie jüngst die Kliniken in Bonn, erkannt, dass es keinen Sinn macht, Partner*innen von der Geburt auszuschließen.

Da die Geburtshilfe, wie auch schon vor Coronazeiten, große Probleme hat: fehlende Hebammen in den Kreißsälen und diese wenigen Hebammen müssen dann anstatt ein bis zwei, gleich drei oder vier Gebärende gleichzeitig betreuen -  ist eine Begleitung bei der Geburt manchmal der einzige Schutz, den Frauen haben, um nicht alleine während der Geburt zu sein. Begleitpersonen sind damit viel mehr als nur der weitere Elternteil des Kindes oder Vertrauensperson. Sie sind bitter notwendig und die langfristigen psychischen Folgen für die Frauen bzw. für die gesamten Familien, wenn die Frauen alleine gebären müssen, wollen wir uns lieber gar nicht ausmalen.

Gewalt während der Geburt

Mal ganz davon abgesehen, dass das Thema Gewalt in der Geburtshilfe auch in diesen Zeiten noch genauso präsent ist und Frauen dem System durchaus ausgeliefert sein können …

Begleitpersonen müssen übrigens auch in den Krankenhäusern, die Partner*innen zulassen, symptomfrei sein, sonst dürfen sie ebenfalls nicht mit in den Kreißsaal. Das Gleiche gilt auch für Gebärende mit Symptomen oder bei einem positiven Testergebnis auf Corona. Aber was wir herausgefunden haben: Eine Sectio ist nach einer positiven Diagnose nicht notwendig. Das Virus geht nicht auf das Baby im Bauch über und die Frauen können, wenn es ihnen gut geht, selbstverständlich vaginal ihre Kinder auf die Welt bekommen.

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Schwierig wird es, wenn Frauen unter der Geburt z.B. nach Blasensprung mit Fieber reagieren oder Fieber als Nebenwirkung nach einer PDA auftritt. Da müssen die Gebärenden sehr, sehr gut informiert sein, am besten vorher schon mit den Krankenhäusern Kontakt aufgenommen haben und wirklich gute Absprachen treffen. Auch in solchen Fällen braucht es eine Begleitperson, die sich für die Frauen einsetzt und Partei ergreifen kann. Das von Frauen unter der Geburt zu erwarten, geht beinahe nicht.

Nur eine Begleitperson im Kreißsaal bei Corona?

Was bedeutet das denn genau, die Anweisung, dass nur eine Person mit darf? Dürfen sich z.B. Bezugspersonen abwechseln?

Jana: Nein, die Person, die mitgeht, bleibt dann, bis das Baby da ist. Ein Wechsel ist nicht möglich und auch kein "Rein- und Raus" der Begleitperson. Eine zusätzliche Doula oder Geburtsfotograf*in ist nicht erlaubt.

Hannah: Wichtig ist, dass die Begleitperson gesund und fit ist und keinerlei Krankheitssymptome aufweist. Eine Doula wäre anstatt der oder des Partner*in wohl auch möglich. Darf aber eben nicht zusätzlich kommen.

Darf meine Beleghebamme mit in den Kreißsaal?

Jana: Ja! Solltet ihr eine Beleghebamme haben, wird sie euch ganz normal betreuen.
Im Moment fahren Kliniken eine sogenannte "Kokonstrategie". Das bedeutet, dass die Frauen im Kreißsaal so wenig Kontakt wie möglich mit anderen Menschen haben sollen. Eine 1:1 Betreuung während der Geburt, wäre natürlich jetzt besonders wünschenswert, wird aber durch die bestehende Personalsituation ebenso wenig möglich sein, wie vor Corona.

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Ist ein Kaiserschnitt bei Corona besser?

Wie ist das denn bei Kaiserschnitten, darf die Begleitperson dann mit in den OP?

Jana: Leider nein. Aktuell gilt, dass bei Kaiserschnitten die Partner*innen nicht mit in den OP dürfen. Sie dürfen die Frau bis in den Kreißsaal begleiten und müssen dann dort warten. Der OP ist von einer Begleitung leider ausgeschlossen. Das gilt auch für Berlin.

Was passiert nach der Geburt, darf mein*e Partner*in bleiben? Können wir in ein Familienzimmer ziehen und ausgiebig kuscheln?

Jana: Leider nein. Eure Begleitperson muss nach der Geburt gehen und darf euch dann auch nicht mehr besuchen. Zurzeit habt ihr dann in der Regel ein Einzelzimmer, um den Kontakt und eine mögliche Ansteckung zu minimieren. Das kommt aber vor allem daher, dass nun viele Frauen ambulant nach Hause gehen und die Stationen daher geringer ausgelastet sind.

Ist das Baby sicher vor Corona?

Ist das Neugeborene und die Mutter im Krankenhaus denn eigentlich sicher vor dem Corona-Virus?

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Hannah: Natürlich achtet ein Krankenhaus noch mehr als andere Einrichtungen und Privatpersonen darauf, dass es zu keiner Übertragung des Virus kommt. Aber der Austausch bzw. die Begegnung mit anderen ist dennoch größer, als er das Zuhause wäre. Auch ein Krankenhaus ist ja nicht davor geschützt, dass Viren hineingetragen werden, ein Grund für die vielerorts sehr strengen Regelungen auch z .B. der Besuchszeiten. Wobei sich viele auch darauf verständigt haben, dass Partner*innen sowohl bei der Geburt als auch danach in den ersten Tagen auf Wochenbettstation dabei sein dürfen, so lange sie das Krankenhaus nicht verlassen. Also auch das ist möglich. Nur anderer Besuch darf dann eben nicht mehr kommen. Den Krankenhäusern geht es um so wenig Publikumsverkehr wie nur möglich. So gesehen ist die Regelung einiger Krankenhäuser, dass immer nur eine Person für eine Stunde am Tag kommen darf, ziemlich unverständlich. Denn sobald eine Person das Krankenhaus immer wieder verlässt und dann wiederkehrt, erhöht sich logischerweise das Risiko, dass sie Viren abbekommt und mitbringt.

Anmerkung zum Interview

Kleine Anmerkung von uns, wieso sich die Aussagen von Jana und Hannah so unterscheiden: Jana Friedrich arbeitet als Hebamme in Berlin, kann also vor allem von der Situation in der Bundeshauptstadt berichten. Hannah Elsche lebt auch in Berlin, hat aber durch die Vernetzung von Mother Hood in ganz Deutschland eine andere Übersicht über die Lage in Krankenhäusern deutschlandweit.

Ambulante Geburt wegen Corona besser?

Kann ich nach Geburt auch gleich wieder nach Hause?

Jana: Wir beobachten zurzeit, dass viele Frauen ambulant gebären. Das heißt, dass sie, wenn alles regelrecht verlaufen ist und es Mutter und Kind gut geht, 4 Stunden nach der Geburt nach Hause gehen.

Ursprünglich war geplant, dass es eine spezielle U2-Sprechstunde für Neugeborene in den Kliniken geben sollte. Das wird aber nun eher nicht angeboten werden, sodass die U2 weiterhin der Kinderarzt ambulant machen muss. Hier muss man sich entsprechend selber kümmern.

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Wer sein Baby mithilfe eines Kaiserschnitts bekommt, kann nicht ambulant entlassen werden und muss in der Regel fünf Tage in der Klinik bleiben.

Hannah: Eine ambulante Geburt, also die Variante nach vier bis 12 Stunden das Krankenhaus wieder zu verlassen, könnte für viele eine durchaus machbare und schöne Option sein, wenn alles gut verlaufen ist. Allerdings muss dann auch klar sein, dass die Betreuung des Wochenbetts momentan anders aussieht und die Hebammen so schnell es geht, auf (Video-)Telefonieren umschwenken, wenig Körperkontakt aufnehmen und so gut es eben geht, auf Distanz bleiben.

Ist eine Hausgeburt nicht gerade jetzt eine gute Alternative zur Klinik?

Jana: Eine Hausgeburt sollte nicht auf Grund von einer akuten Krise geplant werden, sondern, weil man sich das wünscht und gut vorstellen kann. Hausgeburten werden Monate vorher geplant. Außerdem haben wir ja weiterhin einen Mangel an Hausgeburtshebammen. Die wachsen ja nicht plötzlich auf Bäumen. Aber diesen Wunsch nach einer Hausgeburt haben plötzlich überdurchschnittlich viele Frauen.

Hannah: Hausgeburten werden in der Regel lange im Vorfeld geplant und die Frauen sollten sich schon sehr sicher sein, dass sie sich das zutrauen, und es wirklich wollen. Und das nicht weil Hausgeburten per se gefährlicher sind, wie manchmal behauptet wird, sondern weil die Frauen Zutrauen in ihre Gebärfähigkeit sowie Vertrauen in ihren Körper und ihre Begleitung haben sollten. Mal davon abgesehen davon, dass sowieso nur Low-Risk-Schwangerschaften für eine Hausgeburt in Frage kommen, es nur noch wenige Hebammen gibt, die Hausgeburten anbieten  - meistens begleiten zwei Hebammen eine Hausgeburt – und es spontan sowieso nicht möglich ist, eine gute Begleitung zu finden.

Hausgeburt sollte keine Spontanentscheidung sein

Das Ziel ist generell, dass wir nach wie vor eine gute Geburtshilfe auch in Zeiten von Corona brauchen. Jede Frau sollte das Recht auf freie Wahl des Geburtsorts haben. Denn Angst ist egal wo kein guter Begleiter. Und eine Frau, die sich per se in einem Krankenhaus wohler und aufgehobener fühlt, wird diese Sicherheit zuhause sehr wahrscheinlich nicht herstellen können, auch wenn sie im Kopf weiß, dass sie im Krankenhaus eine 1:1 Betreuung vermutlich nicht hätte. Aber vermutlich wären ihr andere Aspekte wichtiger, auf die sie zuhause verzichten muss und die ihr auch Stress machen können unter der Geburt.

Und leider ist momentan auch nicht absehbar, wie sich die Situation zuspitzen wird und ob es dann z.B. ein großes Risiko darstellen würde, eine Hausgeburt verlegen zu müssen, was bei Gebärenden, die eigentlich nicht zuhause ihr Kind bekommen wollten, durchaus öfter passieren kann.

Wochenbett und Corona: Was ihr wissen solltet

Was passiert im Wochenbett? Kann meine Hebamme mich weiterhin ganz normal betreuen?

Jana: Natürlich. Aber leider müssen wir Hebammen durch die neuartige Situation auch die Wochenbettbetreuung ein wenig umgestalten. Die Empfehlung vom Robert-Koch-Institut lautet, dass wir Hebammen mit Masken kommen (das Material wird allerdings knapp), und wir achten noch mehr als eh schon auf extreme Handhygiene. Wir sind weiterhin für euch da, aber wir müssen die Zeit bei euch vor Ort so gut es geht beschränken, um uns gegenseitig zu schützen. Denn nicht jede Infizierung mit Corona wird ja bemerkt. Wir schauen nach euch und dem Baby. Aber wir versuchen zurzeit auch vieles telefonisch zu besprechen, um eure Sorgen und Nöte aufzufangen.

Hannah, was macht ihr von Mother Hood e.V., im Moment für Schwangere (und Hebammen)?

Hannah: Mother Hood e.V. nimmt gerade seine Aufgabe als Lobby der Eltern sehr ernst. Wir sammeln alle Daten und neuen Erkenntnisse, die wir bekommen können, vernetzen und verknüpfen, beraten Eltern in Not, machen Politik. Auch sind bereits mehrere Stellungnahmen in Arbeit sowie verschriftliche Tipps für (werdende) Eltern, damit sie was an der Hand haben.

Unterstützung für Hebammen und Schwangere

Wie können Schwangere oder generell Menschen euch unterstützen?

Hannah: Gerne freuen wir uns immer über Infos und Erfahrungsberichte gerade dann, wenn sie abweichend von dem sind, was z.B. offiziell gilt und was sich noch nicht herumgesprochen hat. So etwas kann uns immer gerne zugeschickt werden und natürlich freuen wir uns auch in dieser Krisenzeit über jedes (neue) Mitglied.

Jana, können wir irgendetwas tun, um Hebammen zu unterstützen?

Jana: Auch uns fehlt es an Material, nicht alle haben geeignete Mundschutzmasken. Wenn ihr also welche nähen wollt, dann meldet euch gern bei Jessica vom Hebammenkollektiv Wedding. Sie koordiniert die Aufteilung der selbstgenähten Masken an Hebammen.

Wenn ihr jetzt Masken nähen wollt, dann könnt ihr das gern nach unserer Nähanleitung für Atemschutzmasken tun. Wenn ihr gerade voller Sorge auf die bevorstehende Geburt blickt, dann redet mit euren Gynäkologen und Gynäkologinnen, mit euren Hebammen darüber. Ihr solltet damit nicht allein sein.

Unsere Gesprächspartnerinnen

Hebamme zu Geburt und Corona Jana Friedrich

Jana Friedrich ist Hebamme in Berlin. Wenn sie nicht im Krankenhaus Frauen während der Geburt betreut, gibt sie Geburtsvorbereitungskurse, betreut Familien im Wochenbett oder unterstützt Schwangere bei der Vorsorge. Und bei all dieser Arbeit findet sie immer wieder auch die Zeit, auf "Hebammenblog" sehr lesenswert über ihre Arbeit zu berichten.

Corona und Kreißsaal Hannah Elsche

Unsere zweite Gesprächspartnerin Hannah Elsche ist tiefenpsychologische Kunsttherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie in Berlin. Sie arbeitet freiberuflich mit dem Schwerpunkt auf Schwangerschaft, Geburt, Kinderwunsch, Verlusterfahrung und Elternwerden. Hannah ist Aktivistin bei der bundesweit agierenden Elterninitiative Mother Hood e.V., die sich seit 2015 für die Belange von Eltern rund um Schwangerschaft, Geburt und im 1. Lebensjahr einsetzt.

Andrea Zschocher

Mein Fazit

Ich danke Jana und Hannah, nicht nur für ihre Antworten, sondern auch für ihre Arbeit. Ich kann mir vorstellen, wie verunsichert viele Schwangere jetzt sind. Die Vorstellung womöglich allein in den Kreißsaal gehen zu müssen, die ist furchtbar. Deswegen hoffe ich sehr, dass schnell alle Krankenhäuser eine gesunde Begleitperson erlauben.

Andrea Zschocher

Bildquelle: Foto Jana Friedrich von Josephine Neubert
Hannah Elsche