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Gar nicht so selten

Verdrängte Schwangerschaft: Schwanger und nichts bemerkt?!

Verdrängte Schwangerschaft: Frau merkt nicht, dass sie ein Baby erwartet
Die Wahrscheinlichkeit einer bis zur Geburt verdrängten Schwangerschaften ist Studien zufolge dreimal größer als die, Drillinge zu bekommen. (© GettyImages / Srdjanns74)

„Frau kommt mit unerklärlichen Bauchschmerzen ins Krankenhaus. Eine Stunde später wird sie Mutter.“ Solche Schlagzeilen lesen wir immer wieder. Und immer wieder denken wir uns: Wie kann es sein, dass eine Frau schwanger ist und davon nichts merkt? Spannende Fakten zur verdrängten Schwangerschaft, die tatsächlich gar nicht so selten ist.

Verdrängte Schwangerschaft, Schwangerschaftsnegierung oder auch Gravitas suppressalis: So nennen es Mediziner*innen, wenn Frauen erst im weit fortgeschrittenen Stadium von ihrer eigenen Schwangerschaft erfahren. Im Extremfall sogar erst, wenn das Kind schon dabei ist, auf die Welt zu kommen. Wie kann das sein? Wie können diese Frauen nicht bemerken, dass sie schwanger sind? Wissen sie es insgeheim nicht doch, wollen es gegenüber ihrem Umfeld aber verheimlichen und spielen die Überraschte? Auch wenn es diese Fälle verheimlichter Schwangerschaften gibt.

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Bei einer verdrängten Schwangerschaft ist es tatsächlich so, dass die werdende Mutter wirklich nichts von ihren anderen Umständen weiß.

Verdrängte Schwangerschaften: seltene Einzelfälle?

Spät entdeckte und verdrängte Schwangerschaften sind gar nicht so selten, wie man das vielleicht denkt. Die bisher größte deutsche Studie zu diesem Thema führte der Berliner Gynäkologe Jens Wessel in den Jahren 1995/1996 durch. Er analysierte die Daten aus 19 Frauenkliniken und vier Hebammenpraxen.

Als verdrängte Schwangerschaft definierte er dabei Schwangerschaften, von denen die werdenden Mütter erst nach der 20. SSW erfahren haben. Das war im Zeitraum des untersuchten Jahres 62 Mal der Fall. 12 Frauen wurden dabei von der Geburt überrascht, wussten also bis zum Schluss nichts von ihrer eigenen Schwangerschaft, eine der Frauen gebar sogar Zwillinge in der 39. SSW.

Eine verdrängte Schwangerschaft ist damit gar nicht so selten: Auf rund 500 Schwangerschaften kommt eine verdrängte; auf rund 2.500 Geburten kommt eine, von der die werdende Mutter bis zuletzt nichts ahnte. Somit ist die Wahrscheinlichkeit einer bis zur Geburt verdrängten Schwangerschaften sogar 3x größer als die von Drillingen (1 : 7.200).

Schwanger und nichts bemerkt: Wie kann das sein?

Eine Schwangerschaft geht mit fühl- und sichtbaren Veränderungen im Körper einer Frau einher. Mit Schwangerschaftsübelkeit schlagen sich immerhin über 80 Prozent aller Schwangeren herum. Schmerzen und allgemeines Unwohlsein sind weitere typische Beschwerden. Dazu kommen das Ausbleiben der Periode, die Kindsbewegungen und der wachsende Babybauch. Wie können Frauen all diese Signale ignorieren? Vor allem, indem sie die Anzeichen unbewusst umdeuten:

  • Übelkeit und Bauchgrummeln: Wird oft auf eine falsche Ernährung oder beginnende Nahrungsmittelunverträglichkeit zurückgeführt.
  •  Gewichtszunahme: Auch diese wird bei verdrängten Schwangerschaften häufig auf die falsche Ernährung geschoben. Oft sind die Frauen im Vorfeld bereits übergewichtig oder haben mit schwankendem Gewicht zu kämpfen, da fallen die paar Kilos mehr auf der Waage nicht sofort auf, vor allem nicht in den Wintermonaten, in denen viele Menschen sowieso ein wenig zulegen.
  • Periode bleibt aus: „Das kann durch zu viel Stress und Sport schon mal passieren.“ Häufig hatten die betroffenen Frauen aber auch schon vor der Schwangerschaft keine regelmäßige Monatsblutung. Oder aber sie hatten während der Schwangerschaft menstruationsähnliche Blutungen, die sie für ihre Periode gehalten haben. Für dieses Phänomen haben Mediziner*innen bisher keine schlüssige Erklärung.
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9 Monate schwanger – und keiner hat's gemerkt? Frauen jedes Alters, Berufs und sozialen Hintergrunds können betroffen sein. Selbst Ärztinnen und Ärzte fallen mitunter auf das Phänomen der verdrängten Schwangerschaft herein. Etwa, wenn die Patientin eine Schwangerschaft sehr sicher ausschließt und er ihre Symptome anderen Erkrankungen zuordnen kann. In Wessels Studie waren sogar einige betroffene Frauen selbst im medizinischen Bereich tätig.

Silhouetten-Effekt: Plötzlich wächst der Babybauch

Manche Frauen aber müssen gar keine Schwangerschaftsanzeichen uminterpretieren, sie haben schlichtweg keine. Wie genau das funktioniert, ist rational nicht zu erklären. Man geht davon aus, dass die Psyche hier einen großen Einfluss ausübt: Weil sie eine Schwangerschaft kategorisch ablehnt, sendet sie dem Körper keine Signale, schwanger zu sein, weshalb dieser einfach nicht auf die Schwangerschaft reagiert.

Für diese Theorie sprechen Fälle, in denen schlanken Frauen nach der Erkenntnis der Schwangerschaft innerhalb weniger Tage, ja sogar Stunden ein Babybauch wuchs (Silhouetten-Effekt). Man vermutet, dass die Frauen bis zu diesem Zeitpunkt unbewusst die Bauchmuskeln anspannten, sodass sich das Baby im Bauch nicht drehen konnte. Durch die Erkenntnis entspannen sich die Muskeln, das Kind kann sich noch mit dem Kopf Richtung Geburtskanal drehen und so den typischen Babybauch formen.

Der Körper ist schwanger, die Psyche aber nicht

Die menschliche Psyche ist zu extremen Verdrängungsleistungen fähig. Sie kann jeden Gedanken an die Realität abwehren, wenn diese zu einem starken emotionalen Konflikt führen würde. Warum sie sich gerade gegen eine Schwangerschaft so wehrt, kann viele Gründe haben – oft sind es:

  • Unbewusste Ängste
  • Falsche Annahmen über die eigene Fruchtbarkeit
  • Eine feste Lebensplanung, in der ein (weiteres) Baby keine Rolle spielt
  • Emotionale Traumata (z.B. Todesfälle, Trennungen), die gerade überwunden werden
  • Oder religiöse Überzeugungen, die dagegen sprechen, schwanger zu sein
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Es gibt also nicht DEN einen Grund, warum Frauen ihre Schwangerschaft verdrängen. So wie es nicht DEN einen Typ Frau gibt, der zu verdrängten Schwangerschaften neigt. Wessels Studie sowie weitere Daten zeigen, dass die betroffenen Frauen weder bestimmten Altersgruppen oder Gesellschaftsschichten angehören, noch sich in anderen Bereichen wie Schulbildung oder Familienstand besonders ähneln.

Die einzige Charaktereigenschaft, die viele betroffene Frauen teilen, ist eine gewisse Konfliktscheue und die Neigung dazu, Sorgen und Nöte in sich „hineinzufressen“, statt sie jemandem anzuvertrauen.

Auch wenn die Gründe für die Verdrängung der Schwangerschaft von Frau zu Frau unterschiedlich sind, ist eins bei allen gleich: Sie geht mit Folgen und großen Risiken einher.

Jede verdrängte Schwangerschaft ist eine Risikoschwangerschaft

In erster Linie ist das so, weil die werdende Mama nichts von ihrem heimlichen Bauchbewohner (oder Bauchbewohnerin) weiß und dementsprechend keine Rücksicht auf dessen bzw. deren Gesundheit nimmt.

Vielleicht raucht sie und trinkt Alkohol oder nimmt starke Medikamente ein. Sie lebt ihr Leben einfach normal weiter, ohne die besondere Vorsicht, die in der Schwangerschaft geboten ist.

Dazu kommt, dass es keine Vorsorgeuntersuchungen gibt. Nicht zuletzt deshalb sind Babys aus verdrängten Schwangerschaften meist besonders klein, kommen häufig zu früh zur Welt und müssen nach der Geburt oft intensivmedizinisch betreut werden.

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Nicht zu vergessen, die Fälle, in denen die Mutter von der Geburt ihres Kindes überrascht wird und es zum Teil ohne Vorkenntnisse allein zur Welt bringt. Man möchte sich diese Situation gar nicht vorstellen! Zur gesundheitlichen Gefahr dieser Überraschungsgeburten für Mutter und Kind kommt der psychische Schockzustand der Mutter, der zu dramatischen Situationen führen kann.

Wichtig ist die psychologische Betreuung der Mutter

Sollte eine Frau erst im fortgeschrittenen Stadium von ihrer Schwangerschaft erfahren, geht ihr viel Zeit für die Vorbereitung auf das Baby verloren. Plötzlich ist sie schwanger und kurze Zeit später auch schon Mutter.

Die vielen Schwangerschaftswochen, in denen sich eine Frau normalerweise mental und emotional auf die Mutterrolle vorbereitet und schon eine erste Bindung zum Baby aufbaut, bleiben den Betroffenen einer verdrängten Schwangerschaft verwehrt. Dazu kommt der Schock, vom eigenen Zustand nichts gewusst zu haben und vielleicht das schlechte Gewissen, nicht besonders gesund gelebt zu haben. Eventuell will sie auch kein Kind, was einen weiteren riesigen emotionalen Konflikt erzeugt, den sie innerhalb kurzer Zeit verarbeiten muss. Selten besteht die Gefahr der Kindstötung.

Auch wenn das alles sehr dramatisch und negativ klingt: In den seltensten Fällen sind Kinder aus verdrängten Schwangerschaften ungewollt. Nur etwa ein Drittel der Babys werden nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Bedenkt man die Umstände und die Tatsache, dass einige Frauen bei der Geburt fast selbst noch Kinder sind, ist das eine recht niedrige Zahl. Meistens sind die Babys den Müttern doch willkommen.

Deshalb ist es wichtig, dass die Frauen umfassend psychologisch und medizinisch betreut werden, vor wie nach der Geburt. Im Fokus der Maßnahmen sollten neben der Gesundheit von Mutter und Kind auch die Unterstützung bei der emotionalen Verarbeitung und beim Bindungsaufbau der beiden stehen.

Beim Hilfetelefon "Schwangere in Not" können werdende Mütter bei Fragen und Ängsten 24/7 kostenlos und anonym anrufen: 0800 / 4040020. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bietet zudem eine Online- und Chat-Beratung für Schwangere in Not an.

Und noch etwas zeigen Wessels Studien und spätere Untersuchungen: Die betroffenen Frauen müssen keinesfalls schlechtere Mütter sein als andere, vor allem nicht, wenn sie die notwendige Unterstützung erhalten.

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Quellen: Jens Wessel: Denial of pregnancy: population based study BMJ 2002; Anke Rohde, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie: Verdrängte Schwangerschaft. Plötzlich Mutter. In: Spektrum der Wissenschaft.

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